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# taz.de -- das wird: Sehnsucht ohne Tinnef
> Katharina Kollmann singt in ihrem Indie-Projekt Nichtseattle ohne
> Fettnäpfchen und Kitschfallen über die Liebe
Von Benjamin Moldenhauer
Die Wirklichkeit in Songs so zu beschreiben, dass man auch in den
Tiefenschichten noch was merkt: Es ist nicht so einfach, wie es klingt.
Gerade, wenn es um die Wirklichkeit von Liebes- und überhaupt
zwischenmenschlichen Beziehungen geht. Überall Fettnäpfchen, Kitschfallen
und Banalitätsgefahr. Katharina Kollmann gelingt das seit drei Alben wie
niemandem sonst zurzeit, ohne Ornament und Tinnef. Auf dem ersten Album
ihres Projekts Nichtseattle, „Wendekid“ von 2019, und dem Nachfolger
„Kommunistenlibido“ drei Jahre später war die Musik noch spartanisch und
skelettiert, E-Gitarre und Stimme vor allem. Beim aktuellen, „Haus“, spielt
nun eine ganze Band. Der Kern ist aber derselbe geblieben.
2023 war Nichtseattle schon mal im Norden auf Tour, als Vorband von
Tocotronic und ohne Band, nur mit Gitarre. Beim Konzert im Bremer
Schlachthof war das Publikum eher verhalten. Vielleicht auch, weil sich die
Songs zu gleichen Teilen über die Musik und über die Texte entfalten. Und
die machen immer wieder seltsame und unerwartete Schlenker und stolpern
sozusagen. Die Beschreibung zum Beispiel, wie man einen neuen Menschen
kennenlernt, wenn man noch nicht weiß, was es werden wird, aber schon so
ein Ziehen spürt im Thorax: „Irgendwas ist doch mit seinen Augen / Oder ist
es nur, weil der so weit weg steht / Und der hält doch schon was in seiner
Hand / Von mir abgewandt, wenn man mal genau hinsieht“, heißt es in dem
Stück „Die Idee“, zu hören auf „Kommunistenlibido“. „Nur war nicht …
mit seinen Armen / Oder war das nur, weil der so gelacht hat? / Das kann
man ja wirklich keinem sagen / Was ich schon wieder gleich gedacht hab“.
So was funktioniert nicht unmittelbar, sondern braucht ein bisschen Zeit.
Die Musik von Nichtseattle berührte von Anfang an Punkte, die in der
deutschsprachigen Indie-Musik eigentlich niemand sonst berührt. Es ginge in
fast allen Liedern auf „Haus“ immer wieder um die Sehnsucht, irgendwo
anzukommen, hat Kollmann im Interview mit dem Online-Magazin Kaput erzählt.
Es ginge um Antworten auf die Frage „Wie kann ich bleiben?“ Die Stücke sind
nach Räumen benannt, „Eigentumswohnung“, „Werkstatt“ oder „Papierhau…
erzählen von Begegnungen, Wünschen und dem, was nicht gelingt.
Die Gesellschaft, also die Welt, in der und mit der im Gepäck man lieben
muss, die Ökonomie insbesondere, auch, weil sie in die Körper gewissermaßen
eingelassen ist, ist in allen Liebesliedern und überhaupt allen Stücken von
Nichtseattle da und mitbesungen. In „Beluga (Eigentumswohnung)“ zum
Beispiel: „Sie schiebt galant ihr Haar zur Seite / Lächelt weich und stolz
ins Weite / Als hätt’die nicht grad daran gedacht / Was das Alter mit ihrem
Marktwert macht“. Die Erzählerin fährt dann im Refrain ziellos durch ihre
„Zuhausestadt“, die schon auf dem Debüt „Wendekid“ als Songtitel
auftauchte. „So generell hab ich das Gefühl, meine Musik geht von einer
Einsamkeit in Richtung einer stärkeren Verbundenheit“, erzählt Kollmann im
Kaput-Interview.
Das bildet sich dann auch musikalisch ab, im Studio und auf der Bühne. Die
Stücke auf „Haus“ klingen runder und gleiten immer wieder vom spartanischen
Singer-Songwriter-Modus ins verhalten Opulente. Die Sehnsucht, die in den
Liedern von Kollmann immer mitschwingt, ist nach wie vor nicht von der Art,
die sonst so in Liebesliedern besungen wird. Es ist komplizierter.
Konzerte Nichtseattle: heute, 20 Uhr, Schlachthof, Bremen; Mo, 18. 11.,
20.30 Uhr, Nachtasyl, Hamburg; 20. 3., Elbphilharmonie, Hamburg; 10.–12.
4., Pop Salon, Osnabrück
13 Nov 2024
## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
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