# taz.de -- Verschiedene Geschichten vom Sozialaufstieg | |
> Olivier David, Dinçer Güçyeter und Lea Sauer loteten in Köln aus, welche | |
> Potenziale die Working-Class-Literatur bereitstellt | |
Von Du Pham | |
Es ist wenig los an der Kölner Rheinpromenade rund um die Kranhäuser; | |
während die Wohnungen dunkel sind, leuchten aus den teuer angemieteten | |
Büros die Lichter warm heraus. Vom Bordstein zur Skyline: | |
Aufstiegsgeschichten funktionieren. Autor Olivier David hingegen erzählt | |
„Keine Aufstiegsgeschichte“, denn er möchte sich nicht von | |
Soziolog*innen eingemeinden lassen. Sein Buch ist in erster Linie | |
Selbstverteidigung – und Solidarität für die eigenen Leute. Die Mutter | |
alleinerziehend und psychisch instabil, arbeitet David prekär und gelangt | |
zufällig zur Literatur. | |
David ist einer von drei Autor*innen, die an diesem Montag bei „Zwischen | |
den Klassen“ lesen und sprechen. Die Reihe des Vereins für | |
Literaturvermittlung „Land in Sicht“ möchte Stimmen aus der Working Class | |
sichtbar machen und damit über klassizistische Strukturen in der | |
Gesellschaft aufklären. | |
Kevin Kader ist der Initiator und Kurator der Reihe, ihn motivierte die | |
Frage, „welche Potenziale Working-Class-Literatur besitzt, welche | |
thematischen und inhaltlichen Innovationen sie in die Gegenwartsliteratur | |
einspeisen können“. Weiter fällt ihm auf, dass „gutgemeinte Texte, die in | |
ein Milieu reinzoomen, welche nicht das eigene, gewohnte ist, vom | |
Feuilleton gern als ‚einfühlsame Studien in ein Milieu der Abgehängten‘ | |
gerühmt werden“, erzählt Kader der taz im Gespräch. | |
Und manchmal werden sie vom Feuilleton auch naserümpfend als | |
„Betroffenheitsliteratur“ abgetan, wie Moderatorin Änne Seidel bemerkt. | |
Dinçer Güçyeter entgegnet dem mit köstlichem Vergnügen. Der in Nettetal | |
geborene Autor und Herausgeber des Elif Verlags ist herrlich schambefreit, | |
wenn er davon erzählt, wie seine Eltern das erste Mal eine Lesung von ihm | |
besuchen und sich Kaffee in der Thermoskanne selbst mitbringen, wenn er mit | |
einem 80.000 Euro dotierten Preis trotzdem die günstigsten Schuhe für 39,90 | |
kauft oder statt Bourdieu Lady Gaga zitiert: „I’ve always been famous, it�… | |
just no one knew it yet“. | |
Güçyeter sieht wie David den Literaturbetrieb problematisch: Er baue Mauern | |
auf. Das untermauert Kader im Vorabgespräch: Die Literatur sei ein Betrieb, | |
der sich am aufgeklärtesten und progressivsten begreifen würde, doch berge | |
er systemische Hürden und reproduziere eine bestimmte Klientel immer | |
wieder. | |
Die Autorin Lea Sauer bringt eine weitere Perspektive ein. Mit ihren | |
Eltern, Krankenschwester- und -pfleger, wächst sie im Siegerland auf: | |
ländlich, provinziell – und hochkulturarm, „kein FAZ-Mainstream“ und sehr | |
evangelikal, was ein gewisses Arbeitsethos mitbringe: Glück und Aufstieg | |
durch Arbeit und die indifferente Reaktion, als das Kind als Erste in der | |
Familie studiert und promoviert. Die Bedenken, dass es nichts Handfestes | |
sei, dass der akademische Aufstieg einen ökonomischen Abstieg bedeuten | |
könnte – und Lea Sauer bestätigt die Brotlosigkeit. | |
Doch welche Ausmaße handfeste Arbeit auf den Körper haben kann, beschreibt | |
David exemplarisch und extra gut in seinem Text „Definition armer Körper“, | |
in dem dieser aber auch als das eigene Wirkungsfeld geachtet – oder | |
geächtet wird, der Körper als Begrenzung des eigenes Wirkungsradius. Der | |
Körper sei das Gedächtnis der eigenen Vergangenheit, so die Direktorin der | |
Schauspielschule, die David einst besuchte. Güçyeter möchte sich als | |
45-Jähriger nicht mehr ständig mit der Vergangenheit beschäftigen und | |
zitiert „aus Frankreich“: Die Scham müsse die Seite wechseln, die, die sich | |
über die Gewalt auf den Straßen mokieren, die Straßen aber nicht kennen, | |
das sind Menschen, die ihr eigenes Unvermögen hinter ihren Krawatten | |
verstecken. Sauer stimmt sehr angeregt zu und findet, auch Geld solle die | |
Seiten wechseln. Sie erhält viel Applaus. | |
Kevin Kader hat mit den drei Autor*innen eine nicht nur vielfältige, | |
sondern auch gehaltvolle Auswahl getroffen, die sehr deutlich macht, dass | |
es eben nicht die eine Working-Class-(Aufstiegs)-Geschichte gibt. Die | |
Straßenlaternen spiegeln sich im Rheinauhafen, als die Besucher*innen | |
nicht betroffen, sondern fidel in den Abend hinausgehen. | |
24 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Du Pham | |
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