# taz.de -- Mehr Sex, weniger Macker | |
> Elektronisches Gewummer für Metal-Zottel und kinky Cosplay-Fans: Am | |
> Mittwoch spielten Health im Neuköllner Club Hole44 | |
Von Benjamin Moldenhauer | |
Auch das ist eine gangbare Bandkarriere. Das US-Trio Health hat sich seit | |
Gründung 2005 in Los Angeles von einer experimentierfreudigen | |
Industrial-Rockband zum gleichfalls experimentierfreudigen und | |
elektronisch-grundierten Noise-Pop-Monster entwickelt. Spätestens als die | |
Band 2012 den Soundtrack zum Videospiel „Max Payne 3“ eingespielt hat, | |
wuchs der Anteil der Gaming-Nerds unter den Health-Fans sukzessive. Stücke | |
und Soundtracks für „Arena War Update“, „Cyberpunk 2077“ und „Cyberp… | |
Edgerunners“ folgten, parallel dazu wurden die Alben der kalifornischen | |
Band immer poppiger. | |
Auf der Bühne [1][sind Health immer noch ein Brett], wie man als | |
Rocktrottel gerne sagt. Und die drei Musiker haben immer wieder mit | |
Metalbands Stücke aufgenommen, zuletzt mit den Schreihälsen von Lamb of | |
God. Das Publikum beim Konzert im kleinen, aber feinen Hole44 in Neukölln | |
war entsprechend durchmischt. Ein Zehntel [2][Metal-Zottel], ein Viertel | |
Gamer-Nerds – und die Hälfte der Menschen im Saal (m/w/d) kam aus der | |
Manga-Cosplay-Ecke und hatte Tierohren oder Schminke im Gesicht. | |
Die Band bildet jene Vielfalt performativ gut ab, ein unfassbar hübscher | |
Johnny an den Keyboards, der Sänger vom Typ her „melancholischer Perverser“ | |
und der Drummer mehr der Jim-Black-Nerd. Außerdem sind Health auch für | |
einen Industrial-Pop-Elektronik-Hybriden mit Cosplay-Fanbase | |
überdurchschnittlich kinky. Auf den Shirts steht „Cum Metal“ oder „Sad | |
Music for Horny People“, es gibt Kondome und einen (allerdings bereits | |
ausverkauften) Buttplug mit Bandlogo. Elektronik klingt bei Health angenehm | |
androgyn, gerade im Vergleich zu den Industrialrock-Ahnen Ministry und Nine | |
Inch Nails (mit denen Health auf Tour waren und ein sehr gutes Stück | |
aufgenommen haben, „Isn’t Everyone“). | |
Gerade live funktioniert das wunderbar. Der Noise wird auch auf der Bühne | |
ohne breitbeiniges Gehampel produziert. Einer der Gründe, warum der | |
Industrialrock der neunziger Jahre 2024 schlimm anachronistisch wirkt, ist, | |
dass damals noch mal die ganz alten Gesten rausgekramt und mit | |
Selbstzerstörungstheater verdrahtet wurden. Trotzdem waren Ministry, White | |
Zombie und KMFDM vor allem Rockbands, Elektrogeratter hin, Störgeräusche | |
her. | |
Bei Nine Inch Nails wurde der Soundpanzer dann schon bewusst porös | |
gestaltet, bei allem gerechten Wüten über die Beschissenheit der Welt und | |
die selbst zugefügten Schnitte an den eigenen Unterarmen. Diese Linie wurde | |
von Health aufgenommen und ins | |
Kinky-Cosplay-Manga-Gamer:innen-Nerd-Universum überführt. Weniger | |
Autoaggression, mehr Sex und Melancholie, kein Mackertum auf der Bühne, und | |
das alles bei gleichbleibender brachialer Lautstärke und mit einem | |
Frauenanteil von mindestens fünfzig Prozent im Publikum. | |
Der Noise der frühen Jahre hat sich weitgehend aufgelöst in einem | |
routiniert runtergeschrubbten Elektronik-Gewummer, über dem eine | |
geschlechtslos anmutende Stimme schwebt. Spätestens mit dem letzten Album | |
„Rat Wars“ sind Health an dem Punkt, an dem sie ihre Songs quasi formelhaft | |
immer weiter ausbuchstabieren können: stoischer Beat, weiche | |
Keyboard-Fläche drüber und dann im richtigen Moment mit mathematischer | |
Präzision auf den Distortion-Effekten rumtrampeln. Und Health sind eine | |
Band, die live exakt so klingt wie auf den Alben. Die Musik ist einfach | |
strukturiert und ballert. Immer wieder schön, wenn einfache Gegensätze so | |
direkt und klar wirken. | |
4 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /!6007990&SuchRahmen=Print | |
[2] /!6039886&SuchRahmen=Print | |
## AUTOREN | |
Benjamin Moldenhauer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |