# taz.de -- „Hochschulen müssen sich bewegen“ | |
> Wie werden die Arbeitsbedingungen an Unis wieder attraktiver? Der | |
> Wissenschaftsrat soll dazu Vorschläge machen. Die Vorsitzende des | |
> zuständigen Ausschusses, Birgit Spinath, erklärt, warum die Ampelpläne | |
> kaum helfen – und was sie dennoch zuversichtlich stimmt | |
Bild: Forscher:innen brauchen bessere Arbeitsbedingungen. Sie sind ja keine hum… | |
Interview Ralf Pauli | |
taz: Frau Spinath, derzeit befasst sich der Bundestag mit einer Reform des | |
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG), mit der die Ampel die | |
Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessern möchte. Die Betroffenen | |
hingegen sehen darin eine „Verschlimmbesserung“. Teilen Sie die Kritik? | |
Birgit Spinath: Der Wissenschaftsrat beschäftigt sich nicht mit dem | |
Wissenschaftszeitvertragsgesetz, sondern mit Personalstrukturen im | |
Wissenschaftssystem. Wir sprechen natürlich mit vielen Beteiligten im | |
System und hören, dass die Sorgen sehr groß sind. Tatsächlich wird durch | |
das neue Gesetz das Hauptproblem nicht gelöst: nämlich, dass es für | |
Daueraufgaben auch Dauerstellen braucht. | |
taz: Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) betont gerne, | |
dass ihre Reform gar nicht darauf abzielt, Dauerstellen zu schaffen – sie | |
sieht die Hochschulen in der Pflicht. Die wiederum argumentieren, zu viele | |
Dauerstellen würden das System „verstopfen“. Ist das Argument aus Ihrer | |
Sicht valide? | |
Spinath: Es muss eine Balance gegeben sein. Die Arbeitsbedingungen müssen | |
für junge Wissenschaftler:innen attraktiv sein. Es gibt sehr viele | |
befristet beschäftigte Personen im Hochschulsystem und die wünschen sich | |
eine Entfristung. Gleichzeitig muss das Wissenschaftssystem leistungsstark | |
bleiben. Es muss also irgendeine Form der Bestenauslese geben. Die | |
Betroffenen sehen das als Härte und Unsicherheit. Diese beiden Punkte | |
müssen in Ausgleich zueinander gebracht werden. | |
taz: Ist das überhaupt möglich? Aktuell dürfen die Hochschulen ihr | |
wissenschaftliches Personal bis zu zwölf Jahre befristet anstellen. Auf dem | |
Weg zur Professur heißt es für die allermeisten Forscher:innen: viel Druck, | |
über Jahre befristete Verträge. Eine Lebensplanung ist so doch kaum | |
möglich. | |
Spinath: Das Gesetz hat einen positiven Sinn: Es soll einen Schutz bieten | |
für diejenigen, die letztlich keine Perspektiven an den Hochschulen haben. | |
Die sollen nicht ewig auf Kettenverträgen befristet angestellt sein dürfen. | |
Es gibt aber mittlerweile einen breiten Konsens darüber, dass | |
Wissenschaftler:innen, die bereits promoviert sind, früher eine Sicherheit | |
bekommen sollten, ob sie im System bleiben können oder nicht. | |
taz: Der Vorschlag von Stark-Watzinger sieht hier vor, promovierte | |
Forscher:innen künftig statt sechs nur noch für vier Jahre befristet | |
angestellt sein dürfen, weitere Befristungen sollen dann nur mit | |
Anschlusszusage erlaubt sein. Viele fürchten, dass der Druck damit sogar | |
zunimmt. | |
Spinath: Natürlich wird es auch weiter so sein, dass nicht alle auf einer | |
unbefristeten Professur landen können. Deswegen müssen wir die | |
Karriereziele neben der Professur weiter stärken. Wir haben neben der | |
klassischen Postdoc-Stelle heute auch Juniorprofessuren mit und ohne Tenure | |
Track (Anm. d Redaktion: mit oder ohne verbindliche Aussicht auf | |
Entfristung), wir haben die Nachwuchsgruppenleitung. Es ist diverser | |
geworden. Aber natürlich reicht das nicht aus. Es braucht jetzt neue Ideen, | |
wie sich die Personalstrukturen an den Hochschulen weiterentwickeln | |
könnten. | |
taz: Da kommen Sie ins Spiel. Bund und Länder haben den Wissenschaftsrat | |
damit betraut, Empfehlungen zu Personalstrukturen zu erarbeiten. Sie leiten | |
den federführenden Ausschuss. Wie weit sind Sie gekommen? | |
Spinath: Wir können zum Glück schon auf einem Papier aufbauen, das der | |
Wissenschaftsrat 2014 zu Karrierezielen und Karrierewegen an Universitäten | |
vorgelegt hat. Wir erwägen, dieses Mal den Fokus breiter zu fassen und auch | |
die Hochschulen für angewandte Wissenschaften und die außeruniversitären | |
Forschungseinrichtungen mit einzubeziehen. Im Sommer 2025 wollen wir die | |
Analyse fertig haben. Aktuell sind wir dabei, mit vielen Akteur:innen im | |
System zu sprechen und noch mal systematisch zu erfassen, wo konkret die | |
Probleme liegen. Dabei fällt uns auf, dass manche Probleme gar nicht real | |
sind. | |
taz: Wie meinen Sie das? | |
Spinath: Manche Hindernisse für bessere Arbeitsbedingungen liegen gar nicht | |
an den gesetzlichen Vorgaben, sondern hängen mit der Verwaltungspraxis | |
zusammen. Wir hören oft: Wir können die Leute nicht entfristen, obwohl wir | |
Geld für Stellen haben, weil wir aus temporärem Geld keine Dauerstellen | |
machen können. Das wäre hochinteressant, wenn unsere Analyse aufzeigen | |
würde: Da haben sich Dinge etabliert, die müssten so nicht sein. Da seid | |
ihr jetzt schon freier, als ihr denkt. Wir sehen auch in der Praxis, dass | |
manche Hochschulen da durchaus Wege finden. | |
taz: Eine aktuelle GEW-Studie hat gezeigt, dass 23 Universitäten zumindest | |
Konzepte für mehr Dauerstellen haben. Und die Hochschulrektorenkonferenz | |
(HRK) hat im Juni in ihren „Leitlinien für unbefristete Stellen an | |
Universitäten neben der Professur“ angekündigt, für Daueraufgaben künftig | |
Lecturer, Researcher und Academic Manager auf Dauerstellen einstellen zu | |
wollen – das heißt, wenn Bund und Länder sie bezahlen. Vermutlich wird sich | |
also nicht allzu viel ändern. | |
Spinath: Ich bin da optimistischer. Das HRK-Papier ist auf viel Wohlwollen | |
gestoßen. Erstmals liegt ein Vorschlag vor, den viele als einen Schritt in | |
die richtige Richtung werten. Denn er zeigt: Es gibt eine Einsicht, dass | |
Daueraufgaben neben der Professur – wie zum Beispiel in der Lehre – auch | |
Dauerstellen verdienen und dass diese attraktiv ausgestaltet werden können. | |
Natürlich stellt sich die Frage, wie diese neuen Dauerstellen finanziert | |
werden. Ich halte es aber für verkürzt zu sagen: Wir können das nur | |
umsetzen, wenn wir dafür neues Geld bekommen. Das zeigen auch Beispiele von | |
Hochschulen, die bereits angefangen haben, solche neuen Stellenstrukturen | |
zu schaffen. | |
taz: Können Sie ein Beispiel nennen? | |
Spinath: Ich will keinen einzelnen Standort hervorheben, ich beobachte da | |
insgesamt durchaus Bewegung bei den Hochschulen. Natürlich ist das auch aus | |
gegebenem Druck geboren: Die Hochschulen tun sich schon heute in manchen | |
Bereichen schwerer, geeignetes Personal zu finden. Das liegt unter anderem | |
daran, dass die Hochschulkarriere in Deutschland im Vergleich mit anderen | |
Karriereoptionen nicht mehr so attraktiv ist, wie es einmal war. Die | |
Hochschulen müssen etwas tun. | |
taz: In anderen Ländern gibt es dank der Department-Struktur flachere | |
Hierarchien und viel mehr Dauerstellen. Muss Deutschland sich nicht endlich | |
vom feudalen Lehrstuhlstuhlprinzip lösen, um attraktive Stellen für alle | |
Wissenschaftler:innen zu schaffen? | |
Spinath: Das ist natürlich eine sensible Frage. Wenn das | |
Lehrstuhlstuhlprinzip flächendeckend abgeschafft würde und die Professuren | |
nicht mehr mit Mitarbeiter:innen-Stellen ausgestattet würden, müsste man | |
sich auch fragen: Was wäre die künftige Rolle der Professuren im System? | |
Darauf muss man eine überzeugende Antwort finden. Dennoch halte ich die | |
Department-Struktur für einen zeitgemäßen Weg hin zu flacheren Hierarchien, | |
geteilten Ressourcen und mehr Dauerstellen neben den Professuren. Der | |
Wissenschaftsrat hat sie bereits in dem Papier von 2014 als möglichen Weg | |
genannt. | |
taz: Die Politik hat ihn aber nicht eingeschlagen. Haben Sie eine | |
Erklärung, warum Bund, Länder und Hochschulen Ihre Empfehlungen damals | |
weitgehend ignoriert haben? | |
Spinath: Leider muss ich Ihre Diagnose teilen. Viele Punkte aus dem Papier | |
sind nicht umgesetzt worden, etwa das Erstellen von | |
Personalentwicklungskonzepten, das Bereitstellen einer zusätzlichen | |
Finanzierung für Dauerstellen oder geänderte Verwendungsrichtlinien der | |
Drittmittelgeber. Unser Anspruch für das neue Papier ist deshalb auch, zu | |
analysieren: Wo hakt es? Warum hakt es? Da sehen wir Chancen, dass wir | |
manche der bestehenden Hürden überwinden können. | |
taz: Hessen hat vorgemacht, wie eine Landesregierung verbindliche Vorgaben | |
für mehr Dauerstellen machen kann. Wünschen Sie sich so ein Engagement auch | |
von anderen Bundesländern? | |
Spinath: Mir scheint die Vorgabe einer Quote der zu entfristenden Stellen | |
kein guter Weg zu sein. Dies entspricht nicht der Idee, die Einrichtung von | |
Dauerstellen am konkreten Bedarf auszurichten. | |
taz: Nochmal zurück zur umstrittenen Ampelreform. SPD und Grüne wollen im | |
parlamentarischen Verfahren noch Änderungen vornehmen. Sie drängen darauf, | |
die Tarifsperre zu lockern. Dann könnten sich die Betroffenen mithilfe der | |
Gewerkschaften auch punktuell bessere Arbeitsbedingungen erstreiten. Was | |
halten Sie davon? | |
Spinath: Über die Tarifsperre haben wir im Ausschuss bislang nicht explizit | |
gesprochen. Ganz generell stellt sich jedoch die Frage, wie sinnvoll es | |
ist, sich ein neues Regelwerk zu geben und gleichzeitig solche Ausnahmen | |
zuzulassen. Idealerweise hätten wir ein Regelwerk, das vergleichbare | |
Bedingungen für Karrierewege schafft und dabei bedarfsgerechte Flexibilität | |
und Durchlässigkeit ermöglicht. | |
30 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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