# taz.de -- Der Sound des Schmelzens | |
> Die Kieler Ausstellung „Beyond Water“ sucht Ökologisches neben | |
> Grundfragen der Kunst zu stellen – das gelingt, aber mit sehr | |
> unterschiedlichen Ergebnissen | |
Bild: Kunst in homöopathischer Dosis: Luis Camnitzers „The Hahnemann Museum … | |
Von Frank Keil | |
31 Flaschen, ordentlich verschlossen und aufgestellt in einem Regal. „The | |
Hahnemann Museum of Water Drawings“ heißt die Arbeit: Luis Camnitzer hat | |
Wasser, auf dessen Oberfläche zuvor mit Holzstäben etwas gezeichnet wird, | |
abgeschöpft und es, eben, in Flaschen abgefüllt: Kunst in homöopathischen | |
Dosen also. Mal ganz konkret, mal eher metaphorisch: „Beyond Water“ ist die | |
nun in der Kieler Stadtgalerie zu sehende Ausstellung betitelt, eine | |
erweiterte Übernahme aus Genf, wo die Biennale im vergangenen Jahr um das | |
Leben mit und am, eben, Wasser kreiste. | |
Das Fassbare und das Bildhafte treffen sich auch mal, bei den | |
Unterwasserziegelsteinen von Marie Griesmar etwa: Die Künstlerin und | |
Taucherin setzt reale Steine auf den Meeresboden, damit sich dort Korallen | |
ansiedeln können. Som Supaparinya aus Thailand ist an den Mun River an der | |
Grenze zu Vietnam gegangen, und sie zeigt in einer Gegenprojektion nun zwei | |
sehr ruhige Filme in Schwarz-Weiß, die vom Leben der örtlichen Fischer | |
erzählen, die mit den Folgen eines Staudammbaus fertig werden müssen. Und | |
Seba Calfuqueo, Indigena aus dem Volk der Mapuche in Chile, erprobt in | |
einer berührenden Performance eine ganz eigene Art, sich wie das Wasser | |
seinen Weg zu bahnen: Hier als Video zu sehen, zieht die Künstlerin eine | |
lange Stoffbahn in Yves-Klein-Blau durch den Dschungel. | |
Im abgedunkelten Filmraum von Diana Leonek und Denim Szram umgeben einen | |
dann perlende, blubbernde Ambient-Klänge, Polster laden zum Wegträumen ein. | |
Nur: Kennt man den Ursprung der Soundcollage, könnten es schlechte Träume | |
werden, denn Lelonek hat Tonaufnahmen schmelzender Schweizer Gletscher | |
gesammelt, Szram daraus eine Art Sinfonie komponiert. | |
In Kiel nun, getragen von der Stadtgalerie sowie dem Zoologischen Museum, | |
begleitet „Beyond Water“ eine Art Parcours mit Veranstaltungsprogramm unter | |
dem Titel „Kiel (re)connecting.earth“, finanziert aus dem Fonds für Kunst | |
im öffentlichen Raum der Stadt. „Egal ob Sie die Vielfalt der | |
künstlerischen Praktiken oder die Vielfalt der Flora und Fauna entdecken | |
wollen, lassen Sie uns in einen Dialog treten“, heißt es im dazugehörigen | |
Stadtplan-Flyer. Das wirkt ambitioniert, getragen von guten Absichten, aber | |
etliche der zwischen der Kieler Fußgängerzone, dem Schlossgarten und dem | |
Hiroshimapark ausgestellten Stationen, die zum Mitmachen inspirieren | |
sollen, wirken dann didaktisch ein wenig schlicht. Eine Tafel fordert dazu | |
auf, Samen aus Tannenzapfen herauszulösen, sie auszustreuen – und dann zu | |
vergessen, wo. Der Berliner Künstler Adrian Missika schlägt vor, einem Baum | |
einen Namen zu geben – ungewollt komisch wirkt die PR-Prosa dazu: „So | |
verliert die Umwelt ihre Anonymität und wächst uns ans Herz.“ | |
Umso erbaulicher ist der ergänzende Besuch im Zoologischen Museum: Hier | |
geht es dann besonders ums Darstellungsfeld von Kunst und Wissenschaft, ein | |
Thema also, das bei mehreren Arbeiten in der Stadtgalerie schon anklingt. | |
Hier nun stößt man hier einerseits inmitten von in Formaldehyd eingelegten | |
Tiefseequellen, Seenelken und Zylinderrosen auf kleine, feine Zeichnungen | |
von Mark Dion: eine Beschäftigung mit unserem ordnenden, aber immer auch | |
ästhetisierten Zugriff auf Natur in den traditionellen Museen. | |
Im Eingangsbereich ist Andreas Greiners „Monument for the 308“ zu | |
bewundern, die an keinem Ort besser aufgestellt sein könnte – und wiederum | |
trägt Wissen um den Hintergrund enorm bei zum Kunstgenuss. Greiner, auch | |
studierter Mediziner, hat einer Geflügelfarm ein Masthuhn des Typs Ross 308 | |
abgekauft, des weltweit verbreitetsten seiner Art. „Heinrich“ durfte ein | |
zweites, gewiss schöneres Leben auf einem Kinderbauernhof führen. Nach | |
seinem Tod wurde Heinrich fachgemäß obduziert und es wurde ein hoch | |
aufgelöster CT-Scan angefertigt. Was der an Skelett abbildete, übertrug | |
Greiner in eine mehr als sieben Meter hohe Skulptur. | |
Wie ein ausgestorbenes Urtier erhebt sich nun der einst vor sich hin | |
scharrende Heinrich zu einer eindrucksvollen Gestalt – bestens passend zu | |
den benachbarten Modellen von Pottwalen oder Riesenkrokodilen. Neben | |
bedenkenswerten Anregungen zu unserem Umgang mit den Tieren und ihrer | |
stetigen Ver- und Entzauberung eine mit nüchterner wie poetischer Stringenz | |
umgesetzte, überzeugende Arbeit. | |
Ausstellung „Beyond Water“: bis 24. 11., Kiel, Stadtgalerie und | |
Zoologisches Museum. Der Parcours „Kiel (re)connecting.earth“ ist noch bis | |
27. 10. aufgebaut | |
22 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |