# taz.de -- Christa Pfafferott Zwischen Menschen: Ein Luftballon in der Nacht | |
Es ist dunkel. Ich fahre auf dem Rad nach Hause und denke über ein Thema | |
nach, das mich traurig stimmt, das in dem Moment den Glauben an die Welt | |
hinterfragt. Vielleicht hat das Gefühl auch mit der Dunkelheit zu tun, der | |
Kälte, die zum ersten Mal auf den Winter verweist. Es ist still. Außer mir | |
sind keine Menschen auf der Straße. Ich fahre weiter über nasses | |
Herbstlaub, dann durch ein Tor und biege in die Einfahrt ein, an deren Ende | |
ich das Rad in den Schuppen stelle. Da sehe ich undeutlich im Dämmerlicht | |
etwas vor mir in der Luft. Ich bleibe stehen. | |
Es ist ein Ballon. Er schwebt auf Höhe meines Gesichts. Ein kleiner, grüner | |
Gasballon. Er muss gerade aus dem Himmel herabgesunken sein. Still blicke | |
ich ihn an. Er steht vor mir in der Luft, wie festgeklebt. Wie ein Gruß, | |
eine Erscheinung. Als hätte ihn jemand in den Platz vor mir hinein | |
animiert. | |
## Ein wundersames Aufeinandertreffen von Zeit und Raum | |
An dem Ballon hängt eine Schnur mit einer Karte, ganz langsam schwebt er | |
weiter herab. Um den Ballon herum ist viel Raum. Er hätte auch viel weiter | |
links oder rechts oder von mir entfernt fliegen können. Aber er sinkt hier | |
unmittelbar in Höhe meines Gesichts herab. Genau in der Sekunde, als ich | |
diesen Ort erreiche. Was für ein Aufeinandertreffen von Zeit und Raum! | |
Fasziniert stehe ich da in dieser stillen Nacht. Der Ballon schwebt im | |
Dunkeln – leicht angestrahlt durch Licht aus dem Fenster meiner Nachbarn. | |
Ein wundersames Bild. Ich denke an nichts. Da ist nur noch Verblüffung, | |
Staunen, Dankbarkeit. | |
Ich spüre, dieses Bild wird bleiben. Luftleichter Moment. Ich will es noch | |
herauszögern, das Bild auf Pause stellen, bevor der Ballon ganz zur Erde | |
gleitet. Bevor ich ihn fange. Ich will noch nichts darüber wissen, was auf | |
der Karte steht, was da plötzlich aus dem Himmel gekommen ist. Das Schöne | |
an dem Ballon ist nicht nur, dass ich ihn finde. Oder dass er mich findet. | |
Das Schönste ist, dass ich ihn sehe, bevor er landet. Dass ich den Moment | |
des Davor erlebe, den Augenblick der Schwebe. Diesen Zauber will ich | |
bewahren. | |
Bevor der Ballon dann schließlich auf den Boden sinkt, fange ich ihn auf. | |
Im Dunkeln entziffere ich den Text auf der Karte: „Liebe liegt in der | |
Luft.“ Ich drehe die Karte um. Es ist einer der Luftballons, die Menschen | |
mit einer Botschaft in den Himmel steigen lassen, in der Hoffnung, dass sie | |
jemand findet –eine Art Flaschenpost. Noch nie habe ich so einen Ballon | |
gefunden. Jetzt ist er direkt von oben auf mich gefallen. | |
Der Ballon stieg bei einer Hochzeit auf. Die Gäste konnten dem Paar Wünsche | |
schreiben: „Ein glückliches, erfülltes und zufriedenes Leben zu zweit bis | |
ins hohe Alter unzertrennlich“, schreibt Viola. Die Karte soll an das | |
Brautpaar gesendet werden, circa 25 Kilometer entfernt. Ich stelle mir vor, | |
wie der kleine Luftballon geflogen ist. Den ganzen Weg über mehrere Stunden | |
vielleicht, hin und her getrieben von Wind und Wetter, durch Licht und | |
Dunkel. | |
Die lange Strecke flog er, bis zu meinem Zuhause, dem Ort, an dem ich | |
wohne, exakt zu dem Zeitpunkt, als ich nach Hause kam. Ein wundersamer | |
Zu-Fall. Wie ein Zeichen. Ein Trost. Ein kleines Wunder. Etwas | |
Unverfügbares. Einfach so geschenkt. | |
Auf der Karte steht, dass der Wunsch in Erfüllung gehen soll, wenn sie | |
zurückgeschickt wird. Ich denke an Viola, die „bis ins hohe Alter | |
unzertrennlich“ schrieb, dass ich jetzt ein Teil ihres Wunsches geworden | |
bin. | |
Ich schreibe meine Adresse in das freie Feld auf der Karte, über dem | |
„Fundort“ steht. Am nächsten Morgen gebe ich die Karte in die Post. Sie | |
geht nun ihren Weg zurück. Der grüne Luftballon verliert zwei Tage später | |
an Luft. In meinem Kopf jedoch bleibt er da in der Einfahrt schwebend. | |
Völlig unerwartet aus dunklem Himmel. | |
18 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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