# taz.de -- Körper aus dem Computer | |
> Die programmierende Künstlerin Rebecca Allen ist eine Pionierin der | |
> 3D-Animation. Bei DAM Projects sind ihre Werke zu sehen | |
Bild: „Girl Lifts Skirt“ von 1974, die erste Animation Allens, spielte auf … | |
Von Tilman Baumgärtel | |
Als 1986 das Album „Techno Pop“ der deutschen Synthesizer-Band Kraftwerk | |
erschien, waren die meisten Kritiken negativ. Obwohl Kraftwerk zu den | |
Ersten gehörten, die ein komplett digital produziertes Album eingespielt | |
hatten, war der Konsens, dass der Gruppe die Ideen ausgegangen waren. | |
In der britischen Zeitschrift Smash Hits fand Rezensent Ian Cranna das | |
Album „offen gesagt ziemlich langweilig“ und fügte hinzu: „Man kann nur | |
vermuten, dass es eine Übung zu ihrem eigenen Vergnügen ist.“ Auch die | |
Website AllMusic kam Jahre später noch zu dem Urteil: Das kurze Album | |
scheine „auf einen Mangel an Ideen und neuen Richtungen hinzuweisen“. Auch | |
die ausgekoppelte Single „Music Non-Stop“ kam weder in Deutschland noch in | |
Großbritannien oder den USA auch nur in die Nähe der Top Ten, nachdem | |
Kraftwerk mit Stücken wie „Autobahn“, „Die Roboter“ oder „Das Modell… | |
solide Chart-Erfolge gefeiert hatte. | |
Trotzdem lief das Video zu der Single beim damals noch einigermaßen neuen | |
Musiksender MTV in Heavy Rotation: Der Grund war wohl weniger das zu dieser | |
Zeit fremdartige Stück elektronische Tanzmusik, sondern das Video der | |
amerikanischen Künstlerin Rebecca Allen, das die Band in Auftrag gegeben | |
hatte. Wie „Music Non-Stop“ war auch der Clip fast komplett digital | |
gestaltet worden. Statt Aufnahmen der Bandmitglieder ließ Allen | |
dreidimensionale Doppelgänger der Musiker aus dem Computer den Song | |
performen. Obwohl die Leistungskraft der Computer im Vergleich zu heute | |
verschwindend gering war und jedes Videobild zeitaufwendig einzeln | |
gerendert werden musste, sieht der Clip bis heute nicht antiquiert oder | |
altmodisch aus. „Ich wollte einen bewusst reduzierten, schlichten Look | |
haben, der der minimalistischen Musik von Kraftwerk entsprach“, sagt die | |
inzwischen 70-Jährige heute, die das Video damals als Mitarbeiterin des New | |
York Institute of Technology entwickelte. | |
Passend in ein Kleid mit aufgedruckten Schaltkreisen gekleidet steht sie | |
mit einem Glas Weißwein in der Hand in der Charlottenburger Galerie DAM | |
Projects, die seit den 1990er Jahren digitale Kunst zeigt und der | |
Computerpionierin in diesem Jahr einen Preis für ihr Lebenswerk verliehen | |
hat. | |
Eine kleine Retrospektive der Arbeit von Allen zeigt, dass sie nicht nur | |
wegen des Kraftwerk-Videos zu den wichtigsten Vorreitern der künstlerischen | |
3D-Animation gehörte. Während heute computergenerierte Trickfilme von Pixar | |
oder Disney zu den Kassenschlagern in Kinos gehörten, war die Produktion | |
von dreidimensionalen Animationen zu der Zeit, als Rebecca Allen ihre | |
Karriere begann, eine esoterische Geheimwissenschaft, die eher von | |
Programmierern als von Künstlern betrieben wurde – und fast alle waren | |
Männer. | |
Als Rebecca Allen in den 1970er Jahren an der Rhode Island School of Design | |
studierte, gab es dort noch gar keine Computerkurse, nicht einmal Computer. | |
Allen, die zufällig einen computergenerierten Wissenschaftsfilm gesehen und | |
dabei das künstlerische Potenzial der neuen Technik entdeckt hatte, belegte | |
an der Universität Informatikkurse und programmierte in einer Zeit, in der | |
Computer ihre Instruktionen noch per Lochkarte erhielten, einen kurzen | |
Film, in dem ein Mädchen kurz suggestiv ihren Rock lüpfte. | |
Allen hatte ihr Lebensthema gefunden: Mithilfe unsinnlicher, abstrakter | |
Technik produzierte sie Animationen, die den menschlichen Körper und seine | |
Leiblichkeit zum Thema hatten – nicht als bloßes Objekt der Darstellung, | |
sondern auch als politisches Statement. „Girl Lifts Skirt“ von 1974, das in | |
der Ausstellung in einer mit zeitgenössischen Computern reaktivierten | |
Version zu sehen ist, spielte auf Sexismus und Machtstrukturen an, die | |
sowohl in der realen als auch in der virtuellen Welt allgegenwärtig waren | |
und immer noch sind. | |
„Als ich angefangen habe, mit Computern zu arbeiten, blieben die | |
technischen Möglichkeiten der Geräte oft hinter dem zurück, was Künstler | |
mit ihnen machen wollten“, sagt Allen heute. „Inzwischen frage ich mich | |
manchmal, ob unsere Vorstellungskraft noch mithalten kann bei dem, was | |
Computer heute leisten können.“ | |
Die Ausstellung zeigt freilich, dass es Rebecca Allen bis in die Gegenwart | |
gelungen ist, künstlerische Vorstellungen zu entwickeln, die nur mit dem | |
Computer sinnvoll umgesetzt werden können. Ihre Virtual-Reality-Arbeit „The | |
Tangle of Life and Matter“ von 2017 ist ein echter Höhepunkt des Genres, | |
die ihr Talent zeigt, eine Technologie adäquat für ihre ästhetischen Ziele | |
einzusetzen. | |
Während man bei anderen VR-Arbeiten oft desorientiert durch virtuelle | |
3D-Welten irrt, bietet diese Arbeit eine echte, berührende Erfahrung, die | |
tatsächlich fast so wirkt, als würde man den Traum eines anderen Menschen | |
träumen. | |
Solo Exhibition 1974 – now! Rebecca Allen, bis zum 2. 11. 2024 bei DAM | |
Projects, Horstweg 35, 14059 Berlin | |
15 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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