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# taz.de -- das wird: Ein politisches Leben, das verschwindet
> Das Lübecker Willy-Brandt-Haus widmet sich der antifaschistischen
> Widerstandskämpferin Gertrud Meyer und fragt, welchen Anteil sie an der
> Geschichte Willy Brandts hatte
Von Frauke Hamann
Ein schmaler Gang in der Lübecker Altstadt verbindet Marlesgrube und
Depenau. In dieser Hinterhof-Enge wird Gertrud Meyer 1914 als zehntes Kind
einer Arbeiterfamilie geboren. Sie absolviert die Realschule mit
Leichtigkeit, macht eine kaufmännische Lehre und arbeitet als
Stenotypistin. Und sie will etwas tun gegen die nationalsozialistischen
„Brüllgarden“, wie sie der SPD-Politiker und Widerstandskämpfer Julius
Leber nannte. Als sich Meyer in der sozialistischen Jugendbewegung
engagiert, trifft sie 1931 den fast gleichaltrigen Herbert Frahm. Aus
Genossen werden Geliebte. Die Linkssozialistin Meyer wird Mitglied der
verbotenen Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) in der
Hansestadt. Sie versteckt antifaschistische Flugblätter in den Schläuchen
ihres Fahrrads – und wird im Mai 1933 mehrere Wochen inhaftiert. Die Arbeit
ist sie los.
Im Juli folgt die 19-Jährige ihrem Freund ins Exil nach Norwegen, fortan
nennt er sich Willy Brandt. Beide leben in Oslo zusammen. Sie wird für die
politische Arbeit schnell unentbehrlich und leitet die SAPD-Stützpunkt,
wenn Brandt unterwegs ist. Die gemeinsame Wohnung ist Anlaufstelle für
geflohene Parteifreunde aus Deutschland. Parallel ist Meyer für den
Psychoanalytiker Wilhelm Reich tätig.
Die Historikerin Gertrud Lenz, langjährige Archivarin bei der
Friedrich-Ebert-Stiftung, kennt Gertrud Meyer wie kaum jemand sonst: „Sie
hatte Organisationstalent und enorme Schaffenskraft. Auch war sie von
großer Unbedingtheit. Sie konnte aus proletarischer Geradlinigkeit
inhaltlich Zoff anfangen. Diese Direktheit hat Willy Brandt sehr geschätzt.
Aber ich sehe bei ihr dieses typische Frauenproblem – ein politisches
Leben, das dann verschwindet.“ So kommt Gertrud Meyer in Willy Brandts
Autobiografie „Links und frei. Mein Weg 1930–1959“ nicht vor. Einzig in
einem Brief schreibt er: „Wir waren liiert. Auch waren wir in der
politischen Arbeit eng verbunden.“
Kurz vor Kriegsausbruch 1939 geht Gertrud Meyer als enge Mitarbeiterin mit
Wilhelm Reich nach New York und bereitet von dort Brandts Exil in den USA
vor: „Als sie durch Dritte von Brandts Ehe mit Carola Thorkildsen erfährt,
ist das ein Schock“, so Gertrud Lenz. Meyer bricht zunächst jeden Kontakt
zu Brandt ab. Sie heiratet einen Norweger. Bis zu ihrem Tod lebt sie erneut
in Oslo. Nach 1945 steht sie im Briefkontakt mit Brandt. Doch dieser lädt
die einstige Gefährtin nicht ein, als er 1971 in Oslo den
Friedensnobelpreis erhält. Ein Wiedersehen gibt es nicht.
Als Brandt politisch Karriere macht und schließlich Bundeskanzler wird,
lehnt Gertrud Meyer alle Interviewwünsche ab. „Das war ihre Radikalität.
Sie wollte ihm nie schaden, sondern wahrte ihm gegenüber absolute
Solidarität. Für sie hatte das Politische immer oberste Priorität“,
erläutert ihre Biografin. Denn Brandts Exilzeit wird massiv öffentlich
angegriffen. „Diesen politischen Gegnern wollte sie keine Munition
liefern.“ So bleibt Meyer zeitlebens die „Frau im Schatten“. Letztlich
trägt ihre Lauterkeit und Diskretion zur eigenen Marginalisierung in der
historischen Überlieferung bei. Auch dies kommt sicher im Lübecker
Willy-Brandt-Haus zur Sprache.
30 Sep 2024
## AUTOREN
Frauke Hamann
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