# taz.de -- kritisch gesehen: musiktheater „besser werden“ im hamburger lic… | |
Wir atmen tief ein. Und wieder aus. „Das Glück deines Lebens ist nur eine | |
Entscheidung entfernt“, lächelt Lise. Sie freue sich auf uns, sagt sie mit | |
lauwarmer Stimme, und auf unser „wahres Potenzial“, schwärmt von der Kraft | |
des Manifestierens und Meditierens. Mit leicht geneigtem Kopf und Glitzern | |
in den Augen lädt sie uns ein zur „23. Aim Night“, einer Vortragsreihe der | |
„Me School für Inspiration“. Es werde wertvolle Einblicke geben, jede Menge | |
Erfolgstools und eine unvergessliche Klangreise. Ein Werbefilm zeigt nackte | |
Füße im Sand und beseelte Seminar-Teilnehmer*innen, die einander umarmen, | |
die Wangen noch feucht von den erlösenden Tränen. | |
Als schließlich das fünfköpfige Berliner Neue-Musik-Ensemble LUX:NM die | |
Bühne betritt, ist man beruhigt. Das hier ist keine „Werde die bessere | |
Version deiner selbst“-Scharlatanerie, sondern doch der angekündigte | |
Musiktheaterabend im Hamburger Lichthof-Theater. Die fünf großartigen | |
Musiker*innen werden gleich eingebaut in das Konzept. Offenbar haben | |
sie bereits zahlreiche Seminare und Erkenntnispfade der Me School | |
durchschritten und berichten nun – zwischen dem ein oder anderen treibenden | |
Musikstück – als „Speaker*innen“ von ihren Erfahrungen. | |
Von der Kraft des Zuhörens ist dann die Rede; vom Mut, nach den Sternen zu | |
greifen; vom Fluss der Dinge und Haare und der Kunst, im Einklang mit | |
seiner eigenen Frequenz zu schwingen. Da berichtet der Posaunist Florian | |
Juncker davon, wie er zur Marke wurde auf dem Markt. Sein Erfolgsrezept: | |
„Sei der Buntstift unter den Bleistiften.“ Das ist ironisch, pointiert, | |
unterhaltsam. | |
## Der rote Faden reißt | |
Felix Stachelhaus (Konzeption, Komposition und Regie) hat, das hat man | |
schnell verstanden, den Leistungsimperativ der Wohlstandsgesellschaft im | |
Blick. Er hat dafür ordentlich Material gesammelt, das Netz ist voll von | |
selbst ernannten Lebensglück-Coaches und „Werde in drei | |
Tagen“-Millionär-Expert*innen. Das hat er zu einem witzigen Medley | |
vertextet. Mit sich selbst entlarvenden Phrasen, Humor, Musik und jeder | |
Menge Videos. | |
Doch dann wird’s didaktisch: Lisa Florentine Schmalz tritt als moralischer | |
Zeigefinger auf und erzählt in einem wütenden Vortrag so gar nichts Neues | |
über die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland, die ungerechten | |
Bildungschancen, die Steuerlast und das Armutsrisiko. Der rote Faden ist | |
verloren. Da werden Fakten und Wasserkisten gestapelt, flattern falsche | |
Geldscheine durch den Raum, werden alle Bleistifte, die eigentliche | |
Buntstifte sein wollten, plötzlich grau und depressiv. „Ich bin erschöpft�… | |
singt der grau gekleidete DooDooBa!-a-cappella-Chor am Ende. Ich bin es | |
auch. Und das, obwohl ich versucht habe, im Rhythmus der Bäume zu atmen. | |
Ganz tief ein. Und wieder aus. Katrin Ullmann | |
Do, 26. und Fr, 27. 9., 20 Uhr, Hamburg; die Aufführung findet diesmal im | |
Resonanzraum statt, Feldstraße 66 | |
26 Sep 2024 | |
## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
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