# taz.de -- kritisch gesehen: reeperbahn festival in hamburg: Am schönsten sin… | |
Das alljährliche Reeperbahn Festival in Hamburg ist ein Branchentreff mit | |
einer Ansammlung von eng getakteten Konzerten: Indiebands und ein bisschen | |
Hip-Hop. Zahlendes Publikum und Branchendödel liefen am Wochenende im | |
Verhältnis eins zu zwei übers Festival. „Austausch, Business und | |
Miteinander“, so nennen es die Veranstalter. | |
Eine inhaltliche Klammer gibt es nicht. Was die vier Tage und Nächte auf | |
der „Kultmeile“ verbindet, ist die ausdauernde Reizüberflutung. Auf der | |
Reeperbahn wälzen sich Junggesell:innenabschiede und vogelwilde | |
Touristenmassen durch die Nacht, überall ist Lärm. Die Clubs, in denen man | |
anlandet, sind dann so etwas wie Ruheorte. | |
Zu entdecken gibt es musikalisch immer einiges. In diesem Jahr zum Beispiel | |
das Baritonsaxofon-Schlagzeugduo O, das in der Prinzenbar eine | |
überraschende Mischung aus Jazz-Improvisationen, Ambient, Metal und | |
Polka-Rhythmen spielte, zusammengehalten von einem Punk-artigen Spaß am | |
Krach. Auch sehr schön: die holländische Band Marathon, die das Erbe von | |
My Bloody Valentine mit sportlichem Indierock verband und so Shoegaze von | |
der genreeigenen Schläfrigkeit befreite, die Schönheit von verpeilten | |
Gitarrenflächen aber mitnahm. In dieser Hinsicht ist das Reeperbahn | |
Festival eigentlich immer eine sichere Sache: Man macht Entdeckungen, | |
Bands, die gerade mal ein, zwei EPs veröffentlicht haben, und einen im | |
Vorbeigehen eben einmal umschubsen. | |
## Auf einmal klingt es super | |
Klassisches gab es auch: New Dad spielten schön vorhersehbaren Indierock, | |
mit dem man sich angenehm wohlfühlen konnte. Und die Liverpooler Band King | |
Hannah schloss souverän an den Sumpfrock der frühen PJ Harvey an. | |
Die eigentliche Entdeckung des Festivals aber war der Grundschulkinderchor | |
Tiny Wolves, der vornehmlich Indiesongs runtersingt. Und es ist | |
interessant im Sinne von tränentreibend, wie auch und gerade Songs, die | |
man von Erwachsenen nicht so gerne vorgesungen bekommt, sich verwandeln, | |
wenn sie von Kindern gesungen werden. Rund 30 der etwa 60 Chormitglieder | |
standen im Festivalvillage auf der Bühne und schafften es zum Beispiel, | |
„Oft gefragt“ von Annenmaykantereit so zu singen, dass da kein Kitsch und | |
keine Gefühligkeit mehr war, sondern einfacher, intensiver Ausdruck von | |
Gefühl und Stimmung durch Klang. Auch Tomtes „Schönheit der Chance“, im | |
Original ein Song, der die Schlagerwerdung des deutschsprachigen | |
Indierocks unwillentlich zumindest mit vorbereitet hat, klang auf einmal | |
super. | |
Und beim letzten Song, „Eine gute Nachricht“ von Danger Dan, zog der | |
Kinderchor einem dann rigoros den Stecker. „Ich hab ne gute Nachricht und | |
ne schlechte auch / Zuerst die schlechte: Wir zerfall‘n zu Staub / Wir | |
werden zu Asche, kehren in das Nichts / Zurück, aus dem wir alle einst | |
gekommen sind“. Wenn ein erwachsener Mann das mit Geigenpathos im Rücken | |
singt, zielt das eher am Ziel vorbei. Als schmetternder Kindergesang aber | |
wird das Stück zu einem leuchtenden Stück unvorhergesehener Schönheit in | |
all dem Businessquatsch und der Reeperbahnhölle drumherum. Benjamin | |
Moldenhauer | |
25 Sep 2024 | |
## AUTOREN | |
Benjamin Moldenhauer | |
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