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# taz.de -- Wie ein frisch geschärftes Metzgermesser
> Ein Lette in Pfifferlingen: Das „Schwäbische Capriccio“ von Anšlavs
> Eglītis aus dem Jahr 1951 wird jetzt wiederentdeckt
Von Helmut Böttiger
Orte wie Onstmettingen oder Truchtelfingen haben es selten in die
überregionale Literaturlandschaft geschafft. Doch ob die Bewohner der
Schwäbischen Alb das ihnen gewidmete Buch des lettischen Schriftstellers
Anšlavs Eglītis wirklich lieben werden, ist zweifelhaft. Der Autor war 38
Jahre alt, als er 1944 während des Zweiten Weltkrieges aus seiner
Heimatstadt Riga Richtung Westen floh, und er strandete dann auf der Flucht
in Richtung Schweiz im Schwäbischen. Erst 1949 gelang es ihm, in die USA
überzusiedeln, dort erschien das „Schwäbische Capriccio“ 1951 zum ersten
Mal. Der autobiografische Hintergrund ist nicht zu verkennen, doch das
Geschehen entfaltet sofort eine Eigendynamik.
Pēteris Drusts, die Hauptfigur, findet sich im langen Winter vor Kriegsende
in einem Ort namens „Pfifferlingen“ wieder. Der Stil des Buches hat etwas
Heimtückisches. Über weite Strecken wirkt es wie ein Schelmenroman, eine
satirisch zugespitzte Burleske, dann wieder hat es harmlos scheinende
romantische Züge, die Bilder [1][wie von Carl Spitzweg] aufnehmen. Aber im
Untergrund ist doch auch gegenwärtig, dass es sich um die bedrohliche
Situation eines Staatenlosen im Deutschland des Nationalsozialismus
handelt.
Pēteris Drusts ist ein Bohemien aus dem wohlsituierten lettischen Bürgertum
und sieht die Pfifferlinger nicht in erster Linie als Anhänger Hitlers,
sondern als ein hinterwäldlerisches Völkchen, das höchst sonderbare
Traditionen hat und unbeirrbar an seinen Gepflogenheiten festhält. Die
Schwellen und Treppen sind sauber gewischt, die Gehsteige ständig
„gespült“. An einem bestimmten Werktag klopfen die Hausfrauen ihre Teppiche
aus, an einem anderen putzen sie ihre Ofenrohre, und ihre Arme und Hände
sind danach voller Ruß. Pēteris Drusts, der selbstverständlich an
Kachelöfen gewöhnt ist, wundert sich sehr darüber, dass es hier für ein
ganzes Haus nur einen einzigen kümmerlichen Blechofen gibt, der bloß ein
Zimmer heizt.
Darin erkennt er auch den Grund, warum die Pfifferlinger so auffällig rote
Gesichter haben: „Die jahrzehntelange nächtliche Kälte versengte sie nach
und nach und ließ die feinen Blutgefäße zu einem roten Adergeflecht werden.
Die eisigen Schlafzimmer waren außerdem der Grund für ihre dumpfen
Stimmen.“ Der Roman besteht aus einzelnen Episoden, in denen etwa Hanno
auftaucht, der aus lauter Sparsamkeit und Langsamkeit sein Haus abbrennen
lässt, oder jemand wie Gottlieb Gonser, der während eines Sturms in seinem
Garten ein kostbares herbeigewehtes Dach eines Hühnerstalls entdeckt und
es gierig zersägt, bevor er merkt, dass es sein eigenes ist. Der Geiz der
Schwaben spielt mehrfach eine grausig-groteske Rolle. Und außerdem trinken
sie hier ein saures Getränk namens Most, das der lettische Kulturbürger
Drusts nicht müde wird in seiner ganzen Absurdität auszukosten.
Aber es gibt auch die hochattraktive Metzgerstochter Melusine, deren Reizen
Drusts sofort erliegt: „Ihre Augen bohrten sich in ihn wie ein frisch
geschärftes und geschickt angesetztes Metzgermesser, durchtrennten die Haut
und die Fettschicht und trafen ihn mitten ins Herz.“
Die Schwaben strahlen bei aller Komik auch etwas Abgründiges aus. Ein
Höhepunkt des Buches ist dann erreicht, als zwei versprengte lettische
Soldaten, die gegen die Rote Armee gekämpft haben, als staatenlose und
verlorene Personen in Pfifferlingen auftauchen, die Alkoholvorräte im
„Lamm“ aufbrauchen und mit den braven Einheimischen in Konflikt geraten.
Die Szene, wie sie anschließend den aufgebrachten Bürgermeister zum Trinken
verführen und ihn letztlich, obwohl er mit seinem Most scheinbar ein
Heimspiel hat, unter den Tisch trinken, hat etwas Charlie-Chaplinhaftes,
ein Slapstick in aufgeladener historischer Situation. Pēteris Drusts, der
beide Seiten kennt, tritt als Vermittler auf, und man kann in der
Charakterisierung der Letten auch eine schmerzliche Heimatsuche des Autors
erahnen.
Es ist in vieler Hinsicht irritierend, wie hier ein Schriftsteller aus
Lettland auf die deutsche Provinz gegen Ende des Nationalsozialismus
blickt. Mehrfach werden die Schwaben gegen die Preußen ausgespielt, die die
wirklich schlimmen Deutschen seien. Das Trauma von Eglītis, der bis zu
seinem Tod 1993 in den USA lebte, war die Unterjochung Lettlands durch die
sowjetischen Truppen, und deshalb behält sein fiktives Pfifferlingen bei
aller satirischen Verve einen romantischen Rest.
7 Sep 2024
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## AUTOREN
Helmut Böttiger
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