# taz.de -- Campen ist ein Gedicht | |
> Erst spät entdeckte unsere Autorin das Glück des Radfahr-und-Zelturlaubs. | |
> Nun genießt sie es umso mehr, das Reisen zwischen Sonnenaufgängen und | |
> Waschräumen, mit Trockensalami und tanzenden Skorpionen | |
Bild: Das kleine Zelt und die Liebe | |
Von Du Pham | |
Ich war als Kind nur einmal campen | |
mit meinem Vater, seiner neuen Frau, meinem Bruder, unserem einjährig neuem | |
Halbbruder | |
irgendwo in Spanien. | |
Wir Kinder hatten ein Zelt für uns allein. | |
Ich erinnere mich nicht an mehr. | |
Nur an das, was Fotografien suggerieren, was Erinnerungen sein könnten. | |
In meiner echten Kindheit gab es kein Camping. | |
Wir hatten weder Auto noch Produkte, die in irgendeiner Form funktional | |
waren. | |
Wenn wir mal ein Auto organisiert bekommen haben,sind wir nachts los nach | |
Paris, ins 13. Arrondissement. | |
Dort kaufte meine Mutter mit der größtvorstellbaren Zuneigung Kräuter, | |
Bücher, Zeitschriften. | |
Den Eiffelturm sahen wir dabei nie. | |
Weil ich nie ein Festival besucht habe, erreichte ich ungecampt meine 30er. | |
Dann der Lieblingsjunge, ein französisches Rennrad namens Monsieur, zwei | |
Wochen Frankreich und mein erster richtiger Campingurlaub. | |
Wie ich es gelernt habe, besaß ich nichts Funktionales. | |
Das kleine Zelt des Jungen sollte unsere frische Liebe nur mehr | |
zusammenschweißen. | |
Unser Schweiß im Zelt an der Côte d’Azur. | |
Die lauernden Moskitos zwingen die Reißverschlüsse, | |
verschlossen zu bleiben. | |
Sollten unsere Häute Kontakt aufnehmen, könnten wir statt Liebe Klebreis | |
produzieren. | |
Es sind viele Jahre, Fahrräder, Reisen, Campingplätze vergangen. | |
Viele unfassbar, viele entzückend, zwischen Lavendelfeldern, | |
unter Weinlauben, an den Füßen diverser Gebirgsketten. | |
Erquickend durch Eselsrufe, tanzende Skorpione, lustige | |
Schafsfamilienkonstellationen, Pommes mit Chèvre, jede Menge Pichet de vin | |
rosé, Folklore in den Ohren. | |
Und manchmal, da saßen wir mit Dosenbier in den Waschräumen und luden | |
Telefone und Fahrradlichter. | |
Es war Pre-Powerbank, die Radfahrtarife ohne Strom billiger. | |
Zu den Zeiten navigierten wir uns analog via Michelin, | |
eingeschmiert mit Antibrumm. | |
Gesichter fahl, Körper schmerzen. | |
Weiße Monster, in der Dämmerung noch mächtiger. | |
Auf Campingplätzen wird es immer sehr früh sehr dunkel. | |
Ab 22 Uhr legt sich eine absolute Stille über den Platz, | |
sie hat etwas Vertrauliches, Beruhigendes. | |
Viel Himmel, leises Flackern aus den kleinen Behausungen, die minimale | |
Privatsphäre versprechen. | |
Zirpen der Grillen, abgelöschter Grillduft, | |
hier und da Quietschen von Luftmatratzen. | |
Und manchmal da macht es Chuc-chuc, | |
das elektronische Schließsystem des Autos. | |
Manchmal macht es auch Tooock, | |
das Zuschmeißen der Autotür. | |
Und noch mal und noch mal und noch mal. | |
Wenn es sehr heiß wird, packen wir im Morgengrauen zusammen, schleichen vom | |
Platz,wollen niemanden wecken, werden mit Sonnenaufgang belohnt | |
für uns alleine, beim ersten Kaffee haben wir zwei Stunden Pedalieren | |
hinter uns. | |
Wir haben alles, was wir brauchen, bei uns, an uns. | |
Manchmal leihen wir uns einen Flaschenöffner, | |
manchmal behaupten wir, wir hätten vergessen, Toilettenpapier einzukaufen, | |
und manchmal fragen wir, ob wir einen Tropfen Spülmittel haben könnten. | |
Da die Sardinen doch fettiger waren, wir nur eine Tupperdose, ein | |
saarländisches Schneidebrett, drei Taschenmesser, zwei Göffel, zwei Becher | |
als Küchenutensilien bei uns haben. | |
Wenn es nicht so heiß ist, schlafen wir aus, sind dennoch kurz nach | |
Sonnenaufgang wach. | |
Wenn es eine Wiese gibt, ist sie noch feucht, erweckt Lätta-Werbung zum | |
Leben. | |
Wenn jemand Kaffee kocht, duftet es nach Zuhause. | |
Manchmal regnet es und wir müssen unser Zelt nass einpacken. | |
Manchmal werden wir dabei sehr nass und manchmal finden wir zusammengepackt | |
Unterschlupf in den Waschräumen. | |
Waschräume, die die Wohlfühloase Bad im Eigenheim ersetzen sollen, wollen. | |
Doch Campingtoiletten sind nicht wie Restauranttoiletten. | |
Sie sind wie die in REs oder Rastplätzen. | |
Während die weißen Monster-Unimogs-VW-Busse absolut akkurat stehen, die | |
Stühle unterm Tisch geparkt, die Handtücher nach Größe aufgehangen, immer | |
sofort nach dem Essen gespült, alles Ordnung und Sauberkeit versprüht, | |
wecken die Waschräume den Wunsch nach Sterben. | |
Haare, Nasenschnodder, Schminkreste in den Waschbecken. | |
Bremsspuren, Würste, Toilettenpapiermassaker hinter jeder möglichen Tür. | |
Alles, ausnahmslos alles ist nass, alles erinnert an Mensch. | |
Die Zeit in Waschräumen haben wir perfekt minimalisiert. | |
Vom Augenaufschlag bis zum ersten Pedaltritt benötigen wir eine | |
Dreiviertelstunde. | |
Während wir acht Stunden auf unseren Rädern beinahe alleine in der Natur | |
verbringen, | |
hin und wieder von einem Monster geschnitten und scharf überholt werden, | |
einem umgebauten Unimog-VW-Bus mit Schriftzug, | |
treffen wir auf Kühe, Wildschweine, Rehe, | |
einsame Flüsse, Meere, Seen. | |
Tauchen, kühlen ab, | |
picknicken auf Mauern, die uns vorm Abgrund schützen, Aprikosen, | |
Trockensalami, Haribo. | |
Füllen unsere Flaschen mit köstlichstem Brunnenwasser | |
und wenn | |
die Beine staubiger, die Hintern wunder, die Nahrungsmittel | |
Einwegtütenketchup werden, | |
überkommt uns eine kleine Vorfreude auf den nächsten Campingplatz. | |
Manchmal sind sie so raffiniert angelegt, | |
dass erwähnte Fahrzeuge keinen Platz finden. | |
Keine Rezeption, kein Restaurant, kein Pool, kein WLAN. | |
Manchmal passiert es, dass ich dabei auf den Naturstufen ausrutsche, | |
Heringe nur mit einem Felsen in den Boden wollen, Duschen abgeschlossen | |
sind und ich mit der Natur konfrontiert werde, wenn ich sie gerade nicht | |
möchte. | |
Manchmal sind es nur wenige Millimeter, Sekunden zwischen bodenständiger | |
Zuneigung und verwöhnter Abneigung. | |
Seit einigen Nächten schlafe ich auf meiner harten Matratze. | |
Seit einigen Tagen bearbeite ich Sendungen mit Titeln wie Was brauche ich | |
für einen Camping-Trip?, Der perfekte Wohnwagen oder Mit dem Unimog nach | |
Schweden. | |
Heimlich freue ich mich darauf, dass es wieder losgeht und der | |
Lieblingsjunge mir verrät, welche Toilettentür ich öffnen kann. | |
7 Sep 2024 | |
## AUTOREN | |
Du Pham | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |