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# taz.de -- Detlef Diederichsen Böse Musik: Nichts ist toxischer, als Mitglied…
Eigentlich irre, wie hartnäckig sich immer noch die Vorstellung hält, Musik
würde Menschen auf eine positive Art zusammenbringen. Miteinander
musizieren – friends for life? Träumt weiter!
Ich muss hier jetzt nicht so tun, als hätte ich zu diesem Thema
Erkenntnisse, die nicht jeder Mensch eigentlich schon lange abgespeichert
hat: Fangen wir bei der passiven Seite an – Musikgespräche am Tresen, ein
Klassiker, wenn es darum geht Freundschaften in kürzester Zeit an die Wand
zu fahren. Etwas neumodischer: musikgeschmackliche Bekenntnisse auf Social
Media oder in der Dating-App – „sieht ja ganz nett aus, aber hört
AnnenMayKantereit?“ (nachlinkswisch). Klar, genauso kann auch
Übereinstimmung festgestellt werden. Aber der Zündstoff ist immer im Gepäck
– „Revolver besser als Rubber Soul? Geh doch Dire Straits hören!“
Musik machen. Wir betreten jetzt den Bereich der Schwerkriminalität. Ich
muss gar nicht die Straftaten aufzählen, ich ruf einfach nur Namen auf:
Phil Spector! Claudine Longet! Bertrand Cantat! Varg Vikernes … Wir können
auch noch ein paar Genres mit ins Spiel holen mit generell geringer
Überlebenswahrscheinlichkeit: Gangsta-Rap, Narcocorridos, norwegischer
Todesmetal …
Okay, auch in anderen Berufen finden sich mitunter Menschen, die vom Weg
abgekommen sind. Aber in der Musik gibt es ja noch das besondere Gift, das
aus dem gemeinsamen Musikmachen herauströpfelt. Kaum ein soziales Konstrukt
ist toxischer als eine „Band“. Man kann ein unzertrennliches
Geschwisterpaar, zusammen in den Kindergarten gegangen, ein Liebespaar
gewesen sein oder zusammen mit einer Klobrille um den Hals in
Rotlichtkaschemmen sich die Seele aus dem Leib gebrüllt haben – hat man
irgendwann eine gewisse Zeit in einer Band zusammengespielt, hasst man sich
hinterher dauerhaft. Selbst einzigartige, großartige Künstler wie [1][Mark
E. Smith] (The Fall) oder Captain Beefheart lassen nach ihren großen
schöpferischen Zeiten haufenweise ausgelaugte, zerstörte, in tiefste
Abgründe der Depression abgesunkene Gestalten am Wegesrand zurück.
Auch höchst gefährdet sind jene armen Menschen, die dereinst für eine Weile
Teil einer Jugendbewegung waren. Wenn später die Nachwelt die Dinge ein
wenig anders darstellt, als man sie selbst empfunden hat, wenn die eigene
Rolle nicht in ihrer ganzen Bedeutsamkeit gewürdigt wird, wenn dann auch
noch Leuten, mit denen man ohnehin noch eine Rechnung offen hat, eine
wichtigere Rolle als einem selbst zugebilligt wird, ist eine Nacht der
langen Messer unausweichlich.
Am hässlichsten wird es aber, wenn die Charaktere von Leuten, die sich
nach zehn oder mehr Jahren gemeinsamer Bandmitgliedschaft für immer
voneinander verabschiedet und zu hassen beschlossen haben, durch das
jahrzehntelange Planschen im Bad der Eitelkeit so ruiniert sind, dass sie
dann doch irgendwann das Trillionenangebot akzeptieren und sich auf die
große Reunion-Tour einlassen.
Reunion-Touren! [2][Manifestationen des Urbösen,] Abgründe bedingungsloser
Selbstliebe und für den Konsumenten hochwirksame Impfungen gegen
romantische Illusionen (wenn man sich einen Platz leisten kann, der einem
erlaubt zu erkennen, was da wirklich auf der Bühne passiert). Getrenntes
Fliegen und Fahren, sich gegenseitig belauernde persönliche Crews, sich
gegenseitig belauernde Ehepartner*innen, zweideutige Interviews …
Hass-Connaisseure kommen hier besser auf ihre Kosten als selbst beim
bestgecasteten Trash-TV-Format.
Also, Eltern! Möchtet ihr, dass euer Nachwuchs ein friedvolles,
glückliches, erfülltes Leben führt? Bouldern, Kitesurfing oder
Stand-up-Paddling sind auch schöne Hobbys.
7 Sep 2024
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## AUTOREN
Detlef Diederichsen
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