Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- In der Denkfalle
Von Franca Parianen
Unsere Wahrnehmung deckt sich nicht immer mit der Realität und unser
Handeln nicht immer mit Logik. Auch wenn natürlich alles Denken subjektiv
ist, lassen sich dabei Muster erkennen. Die israelischen Forscher Amos
Tversky und Daniel Kahneman prägten für diese kognitiven Verzerrungen in
den 1970er Jahren den Begriff „Biases“.
## Wo treten Biases auf?
Seit der Wortschöpfung ist es Forschenden gelungen, eine ganze Reihe davon
zu identifizieren. Heute wissen wir zum Beispiel, dass Menschen sich an
schlimme Ereignisse besonders detailliert erinnern. Mit zunehmendem Alter
denken sie in der Rückschau aber mehr an schöne Erlebnisse. Wir wissen,
dass wir uns in unseren Vorlieben stark an anderen orientieren, aber im
Zweifel auch unsere Vorlieben auf andere projizieren. Dass wir
Informationen als glaubwürdiger einschätzen, wenn wir sie oft hören oder
sie unsere Meinung bestätigen. Und dass uns Handeln immer ein bisschen mehr
Angst macht, als nichts zu tun.
## Ist das ein Problem?
Wenn unser Gehirn in solche Denkfallen stolpert, ist das vor allem ein
Versuch, sich durch eine sehr komplexe Welt zu navigieren. Das heißt, viele
Biases sind zunächst mal der Notwendigkeit des täglichen Lebens geschuldet.
Es ist nützlich, Negatives stärker wahrzunehmen, weil es für uns
tendenziell riskanter ist, Gefahren zu übersehen als [1][Erdbeertörtchen].
Gleichzeitig lässt uns der Negativitätsbias Chancen, Auswege und
Unterstützung übersehen. Auch von uns auf andere zu schließen kann uns in
vielen Fällen helfen, den anderen zu verstehen. Gleichzeitig sorgt der
Egozentrische Bias zum Beispiel dafür, dass autofahrende Ladenbesitzer den
Autoanteil ihrer Kundschaft weit überschätzen.
Einige Forschende unterscheiden auch zwischen „heißen“,
motivationsgetriebenen Biases, bei denen wir aktiv Informationen in unser
Weltbild hinein verdrehen, und „kalten“, verarbeitungstechnischen Biases,
bei denen unser Gehirn einfach versucht, aus einem Wust an Informationen
die relevanten herauszufiltern.
## Was bedeutet das für eine Gesellschaft?
Auch Gruppendenken, das uns im Extremen zu Konformismus, Ausgrenzung und
Radikalisierung verleitet, hat seine Wurzeln wahrscheinlich in den
Anforderungen an eine soziale Gemeinschaft. Wenn unser Überleben von einer
Gruppe abhängig ist, ist das sinnvollste Verhalten oft das sozial
akzeptierte und nicht unbedingt das scheinbar logischste. Je nach Situation
und Intensität können Biases also teilweise großen Schaden anrichten oder
uns manchmal sogar helfen.
## Haben wir das alle?
Grundsätzlich lassen sich Biases bei allen Menschen finden. Genau genommen
gilt der Glaube, von keinerlei Bias betroffen zu sein, selbst als Bias.
Nämlich als „Objektivitätsillusion“. Es scheint nicht mal so, dass manche
Menschen besonders gut vor Denkfallen gefeit sind.
Ausgezeichnete kognitive Fähigkeiten schützen uns zum Beispiel nicht davor,
zu lange [2][an schlechten Entscheidungen festzuhalten]. Fragen Sie nur
diverse Doktorand*innen. Stattdessen unterscheiden sich Individuen
scheinbar stark in ihrer Anfälligkeit für spezifische Biases. Während eine
Versuchsperson ihr Verhalten in der Rückschau immer wieder übermäßig
kritisch bewertet, überschätzt eine andere vielleicht grundsätzlich ihren
Einfluss.
Neben Persönlichkeitsfaktoren kann dabei auch unser Umfeld die Tendenz zu
bestimmten Denkmustern bestärken. So tendieren homogene Gruppen zum
Beispiel eher zum Gruppendenken. Und Polizist*innen sind besonders
anfällig dafür, [3][zweideutige Informationen als Schuldhinweise] zu
interpretieren.
## Lässt sich das ändern?
Der erste Schritt gegen die eigenen Biases ist es, sie sich bewusst zu
machen. Danach lassen sich Strategien implementieren, um sie zu vermeiden.
Gegen das Gruppendenken kann es beispielsweise helfen, wenn man zuerst die
Meinungen von neuen Teammitgliedern einholt oder vorher einige Personen
benennt, die in Diskussionen grundsätzlich die Gegenposition einnehmen. Um
Fehleinschätzungen zu vermeiden hilft es, Annahmen zu überprüfen und ins
Gegenteil zu verkehren. Im Falle der Polizist*innen schwächte sich der
Bias beispielsweise ab, wenn die Ermittelnden ein Szenario entwickeln
mussten, in dem die Verdächtigten [4][bei gleicher Beweislast unschuldig]
wären.
Abgesehen von solchen prozessorientierten Lösungen lassen sich auch
Umgebungen schaffen, in denen Biases allgemein seltener auftreten. Neben
diversen Blickwinkeln und offener Diskussion spielen hier die Faktoren Zeit
und Druck eine wichtige Rolle.
Der Negativitätsbias verschärft sich zum Beispiel, wenn wir [5][chronisch
gestresst] sind. Dagegen fallen Menschen seltener auf Denkfallen rein,
wenn sie Zeit zum Nachdenken haben, wenn ihnen ein Thema am Herzen liegt
oder sie sich vorher dazu einlesen. Manchmal reichen zum Innehalten schon
eine trocken-technische Aufbereitung und der Hinweis, dass es komplex ist.
Im Idealfall brauchen wir für gute Entscheidungen also Herzblut, Recherche
und die Freiheit, Annahmen zu hinterfragen.
17 Aug 2024
## LINKS
[1] /!5811619&SuchRahmen=Print
[2] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0167487016307346
[3] https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/21582440221095022#bibr4-21582…
[4] https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0032258X211038888#bibr13-0032…
[5] /!5584261&SuchRahmen=Print
## AUTOREN
Franca Parianen
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.