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# taz.de -- Jesus war eine Schreibübung
> In der Staatsbibliothek Hamburg liegt das älteste Manuskript eines
> Kindheits-Evangeliums: Lang im Bestand interessiert sich Forschung erst
> seit der Digitalisierung fürs Fragment
Bild: Das Digitalisat mit „P.Hamb. graec. 1011“ war in der Entstehungszeit …
Von Frank Keil
Es ist nur elf Zentimeter lang und fünf Zentimeter breit. Es sind nicht mal
alle Schriftzeichen erhalten. Und doch ist dieses Stückchen, das aussieht
wie altes, zerfleddertes Papier, eine Sensation: Ein in der Hamburger
Staatsbibliothek lagernder Papyrus ist die bislang älteste Abschrift einer
Jesus-Geschichte, datiert auf 300 bis 400 Jahre nach Christus. Die bis dato
bekannte älteste Abschrift verortete man im 11. Jahrhundert.
Erzählt wird in dem kurzen Text folgende Begebenheit: Der junge Jesus sitzt
mit Freunden am Ufer eines Flusses. Aus dem Schlamm, den der Fluss mit sich
führt, formen die Kinder zwölf Vogelfiguren. Nur ist Schabat, etwas
herzustellen ist untersagt, und – hier variieren die bisherigen
Überlieferungen – ein vorbeikommender Rabbiner oder auch Jesus Vater Joseph
ermahnt insbesondere Jesus streng. Da nimmt der die Vogelfiguren, wirft sie
trotzig in die Luft, und sie fliegen davon.
Diese und drei weitere Geschichten gelten als Kern des Kindheitsevangeliums
nach Thomas, das nicht Teil der Bibel wurde. Sie erfreuten sich als
sogenannte apokryphe, weil nicht anerkannte Schriften großer Beliebtheit.
Zeitweise wurden sie sogar verboten, erzählten sie doch von einem
renitenten Jesus, der im Zorn gar einen Jungen getötet haben soll.
Es gibt noch weitere Geschichten zu dem Fund. Dazu begibt man sich am
besten in die Hamburger Staatsbibliothek, wo das papyrene Dokument in einem
Tresor verwahrt wird. Zuständig für die Sammlung mit etwa 1.000 Papyri ist
Katrin Janz-Wenig. Sie ist Mediävistin und damit versiert in puncto
mittelalterliche Handschriften. Doch sie weiß auch gut über den hauseigenen
Papyrus-Bestand Bescheid. Und der baute sich auf, als in Deutschland noch
vor dem Ersten Weltkrieg ein Papyrus-Kartell begründet wurde.
„Kartell, das klingt erst mal negativ“, sagt sie. Doch in diesem Fall war
es sinnvoll. Seinerzeit schlossen sich die Bibliotheken unter anderem von
Straßburg, Berlin und Hamburg zusammen, um sich beim Ankauf von Exponaten
aus archäologischen Grabungen aus Ägypten abzusprechen. So vermied man,
dass man sich bei Ankäufen unterbot und verhinderte, dass die Funde in den
Antiquitätenmarkt wechselten. Aktuell wird die Arbeitsweise dieses Kartells
genauer erforscht, auch mit Blick auf die Provenienz einzelner Erwerbungen.
Besagter Jesus-Papyrus kam so zunächst nach Berlin und wurde dort zwecks
besseren Erhalts beidseitig unter Glas gelegt. Erst in den 1990er-Jahren
hat man es nach Hamburg weitergereicht. Dort lagerte er bis jetzt, nur
oberflächlich gesichtet. Man vermutete in den flüchtig wirkenden Notizen
nur Unwichtiges – eine Einkaufsliste zum Beispiel.
Gefunden wird aber nur, wo gesucht wird. „Mit technischen Neuerungen und
ihrem Gebrauch“, erklärt Janz-Wenig, „ändern sich Fragestellungen, und man
schaut neu auf das Material, das seit Langem vor einem liegt.“ Vor gut 20
Jahren hat man weltweit damit angefangen, handschriftliche Sammlungen
digital zu erfassen und mittels Datenbanken ins Netz zu stellen. So werden
sie weltweit verfügbar. Die Hamburger Staatsbibliothek sei besonders weit
vorn, sagt Janz-Wenig: „Wir haben eine hauseigene Medienwerkstatt und sind
dabei, unsere Sammlungen digital zur Verfügung zu stellen, auch zum
Herunterladen“, so Janz-Wenig.
Für die [1][Hamburger Papyrus-Sammlung] ist dieser Prozess abgeschlossen.
Und [2][so stießen] die Wissenschaftler Lajos Berkes von der Berliner
Humboldt-Uni und Gabriel Nocchi Macedo von der Université de Liège auf den
Papyrus mit der Signatur ‚P.Hamb.graec. 1011‘ und sahen ihn sich genauer an
– [3][aufmerksam geworden durch eine Buchstabenfolge, in der sie das
Fragment des Namens ‚Jesus‘] erkannten. Den bisherigen Eindruck, beim
Papyrus handele es sich um eine flüchtige Notiz, führen die Forscher darauf
zurück, [4][dass es sich nicht um die Arbeit eines professionellen
Schreibers], sondern um die Übung eines Schülers gehandelt haben dürfte.
Das legt auch die Materialanalyse der Abschrift nahe. Beschrieben wurde
damals die Rückseite des Papyrus, also dessen schlechtere, rauere Seite.
Und so liegt ein Alltags-Exponat vor uns, was in der Papyrologie eher
selten vorkommt. Denn gezielt aufbewahrt wurden auch damals eher Verträge
und Dokumente. „Das, was wir heute ‚Akten‘ nennen“, sagt Janz-Wenig.
„Es gab immer die Frage: An was haben die Leute damals Schreiben und Lesen
gelernt?“, öffnet Janz-Wenig die nächste Fragestellung. Man dürfte, so ihre
Vermutung, an Texten geübt haben, die kanonische Inhalte vermitteln
sollten. „Da sind natürlich Kindheitsgeschichten von Jesus doppelt
interessant.“
9 Sep 2024
## LINKS
[1] https://www.sub.uni-hamburg.de/sammlungen/handschriftensammlung/orientalisc…
[2] https://papyri.uni-leipzig.de/receive/HamPapyri_text_00008360
[3] https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/juni-2024/nr-2464-1
[4] https://www.habelt.de/bookshop?tx_bookshop_mybookshop%5Baction%5D=showEBook…
## AUTOREN
Frank Keil
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