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# taz.de -- Die Gen Z im Osten: Meine Oma, Honecker und Ich
> Was ist nur mit meiner Oma los? Schwärmt sie etwa für Margot Honecker?
> taz-Futurzwei-Kolumnist Aron Boks auf den Spuren der DDR in seiner
> Familie.
Bild: Die Ost-GenZ interessiert sich für die DDR, was passiert wenn sie mit Al…
[1][taz FUTURZWEI] | Margot Honecker schaut mich nicht an. Auf dem Cover
des Gesprächsbands, den ich von ihr lese, kehrt sie mir und allen fragenden
Menschen den Rücken zu.
In meinem Zimmer lese ich in dem Buch, was die ehemalige
Volksbildungsministerin, die ab 1958 bis 1989 erst mit-, dann
hauptverantwortlich für die Erziehung der Schülerinnen und Schüler der DDR
war, über die Zeit erzählt. Unter anderem über die Schulzeit meiner Oma.
Ich fand das spannend, weil ich 1997 im Osten geboren wurde, die DDR also
nicht miterlebt habe, mich dafür aber immer mehr interessiere.
Aber jetzt weiß ich nicht, worauf ich zuerst wütend sein soll – auf Margot
Honecker, die in diesem Buch zwar ganz lieb von „frohen Kindernaturen“ und
Chancengleichheit spricht, aber gleichzeitig für Zwangsadoption,
sozialistische Wehrerziehung und den knastähnlichen Jugendwerkhof Torgau
verantwortlich war, einer Umschulungseinrichtung für „schwererziehbare“
Kinder – oder wütend auf den Journalisten, der für diesen Band zu ihr ins
Exil nach Chile geflogen ist und sie über 40 Stunden in so einem „wir“ und
„uns“-Tonfall interviewt, als hätten die beiden eine fucking Skatmannschaft
zusammen geführt.
## Einschulung mit Honecker
Vielleicht bin ich aber auch sauer auf mich, weil ich dem Typen dann auch
wieder nicht all zu böse sein kann. Er ist so alt ist wie meine Oma und die
beiden wurden genau dann eingeschult,als Margot Honecker anfing, ihr
Aufwachsen mitzugestalten. Vielleicht ist er deswegen befangen beim Fragen,
denke ich und lese die Rückseite des Buches: „Was unter ihrer Federführung
passierte, geschah mit Verstand und Weitsicht. Ihre Arbeit setzte Maßstäbe
für eine erfolgreiche Erziehung.“
Meine Oma ruft mich an. Ich habe ihr ein Foto von dem Buch geschickt, und
sie ist neugierig, was drin steht.
„Ich finde es gibt sympathischere Menschen“, sage ich vorsichtig, während
ich weiter auf Margot Honeckers Rücken gucke.
„Mag sein“, sagt meine Oma etwas bitter. „Ich finde aber, dass das
Bildungssystem früher gar nicht so schlecht war. Dass alle Kinder zusammen
in die Schule gegangen sind, ist doch toll, und die Finnen übernehmen das
ja jetzt auch – wusstest du das?“
## Verklärt Oma die DDR?
Was ist denn plötzlich mit meiner Oma los?, denke ich nach dem Telefonat.
Ich kenne diese historischen Erzählmixe aus Vergangenheit und Gegenwart,
die sich als Mythen im Osten halten. Wenn ich mich mit Älteren dort über
die DDR spreche, geht es so oft erst ein Stück voran im Gespräch, bis
irgendwer dann ungefragt darüber sinniert, dass es doch früher auch einfach
mehr Zusammenhalt statt Ellbogengesellschaft gegeben habe, dass alle Arbeit
gehabt hätten und die Frauen viel gleichberechtigter gewesen sein.
Außerdem gibt es eine große Verklärung des Bildungssystems. Und ich glaube
nicht, dass die Schüler:innen in Finnland Fahnenappelle, sozialistische
Wehrerziehung und Staatsbürgerkunde im Lehrplan haben.
Später lese ich in einem Blog über Schulpolitik, dass es nirgendwo einen
handfesten Beleg dazu gibt, dass Finnland das Bildungssystem der DDR
übernommen hätte, sich dieser Mythos aber durch leichte Ähnlichkeiten
aufrecht erhält.
Ich klappe den Laptop zu und rufe meine Oma an.
## Ost – West – GenZ
Mir geht das alles auf die Nerven. Je älter ich und die Deutsche Einheit
werden, desto mehr spüre ich aber fernab meiner Heimat, dass es
Unterschiede im Aufwachsen zwischen mir und meinen westdeutsch
sozialisierten Freunden gibt. Und dass ich mit diesem Eindruck nicht allein
bin: Laut einer Studie im neuen Buch des Soziologen Steffen Mau finden 65
Prozent der jungen Ostdeutschen, dass es spürbare Unterschiede gibt,
während das im Westen nur 32 Prozent denken.
Dort ist der Trend auch rückläufig, im Osten nimmt das
Unterschiedsbewusstsein zu. Im Buch wird auch beschrieben, dass der Blick
der älteren Ostler viel öfter in den Westen geht, als in die eigene
Vergangenheit. Und auch ich merke in Gesprächen mit Zeitzeugen, dass es
vielen deutlich schwerer fällt, sich mit seinem Leben in der Diktatur zu
beschäftigen, als damit, was mit der Wiedervereinigung nicht funktioniert
hat und dass der Westen einen nicht so richtig verstehen will.
„Aber das ist doch bescheuert“, sagt meine Oma.
„Ich dachte, du findest Margot Honecker gar nicht so schlecht“, entgegne
ich bockig.
„Nein!“, sagt sie erschrocken. „Die Frau war furchtbar, aber hatte immer
ein Talent zu reden und Wahrheiten zu verdrehen!“
## Glückliche Kindheit in der Diktatur
Dann spreche ich mit meiner Oma über ihre Schulzeit, die glücklichen
Pioniernachmittage, die FDJ, ihren zuerst leidenschaftlichen Eintritt in
„die Partei“ und die spätere Resignation, besonders nachdem sie noch zu
DDR-Zeiten das erste Mal in den Westen reisen durfte.
Mir fällt dabei auf, dass alle meine Vorfahren immer in den Westen geschaut
haben, während ich die ganze Zeit versuche, in die DDR zu gucken. Für meine
Eltern und meine Oma ist diese Zeit abgeschlossen, für mich liegen dort
vielleicht Fußnoten, die meine bisherige Geschichte erklärbarer machen.
Während ich danach suche, erfahre ich von anderen Nachwendekindern aus dem
Osten ähnliche Irritation über festgefahrene Narrative der Älteren und
gleichzeitige Wut darüber, wie verletzend und unvorsichtig die
Wiedervereinigung verlaufen ist. Wie wenig Therapie und wie viele schnelle
Umschulungsmaßnahmen es gab.
## Ein neues 68' im Osten?
Oft wird jetzt vor den anstehenden Landtagswahlen und während immer mehr
Nachwendekind-Schriftsteller:innen über den Osten schreiben, ein mögliches
„neues '68“ thematisiert. Laut Steffen Mau scheinen gerade diese Jüngeren
zu schonungsvoll mit den Älteren zu sein, wenn es um deren frühere
sozialistische Treuebereitschaft geht. Gäbe es diesen weichen Blick nicht,
würden manche Narrative, die die Verklärung der DDR und letztlich die
heutige Demokratieskepsis im Osten befeuern, einfach weniger Nährboden
haben.
„Ich frage mich nur, wie man mit Menschen, die ihre ganze Schulbildung und
sicher vor allem schöne Momente dadurch erfahren haben, kritisch über die
Diktatur spricht, ohne dass die sich auf den Schlips getreten fühlen“, sage
ich zu meiner Oma.
„Das geht ja auch nicht“, antwortet sie prompt. „Wenn man gefragt wird,
dann muss man darüber sprechen, schließlich war die Zeit, wie sie war!“ Sie
meint damit die Propaganda, die Massenorganisationen, das offizielle und
inoffizielle Reden.
Ich weiß nur noch nicht wie man all das genau besprechen kann und laufe im
Kreis durch dieses Land, das es nicht mehr gibt, aber immer noch die
Gegenwart vieler im Osten und mit Blick auf die kommenden Wahlen auch die
der ganzen Republik bestimmt.
Dabei kann es sehr gut sein, dass die Leute, die ich nach dem Weg frage,
selbst keine Ahnung haben, wo es lang geht. Dass sie selber irren.
„Aber ich finde es spannend mit dir darüber zu reden und bring mir das Buch
mal mit, ja?“, sagt meine Oma. „Küsschen!“
„Küsschen Oma!“, sage ich.
Gut, ein neues '68 mit Vergangenheitskonfrontation habe ich noch nicht
hinbekommen.
Aber vielleicht ist das ja immerhin ein Anfang.
■ Stimme meiner Generation – die Kolumne: Was treibt die GenZ um, im Großen
wie im Kleinen? Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben [2][an dieser Stelle
regelmäßig] für unser Magazin taz FUTURZWEI über das Leben und die
Herausforderungen einer besonderen Generation in sehr besonderen Zeiten.
1 Aug 2024
## LINKS
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[2] /!v=a9eb2f40-142b-4923-bb85-47d6e8b479c9&vp=6180735/
## AUTOREN
Aron Boks
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