Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Katastrophe wegschwindeln
> Alex Jones hetzt auf seiner Plattform Infowars gegen die Überlebenden und
> Angehörigen des Amoklaufs an der Sandy-Hook-Schule 2012. Eine neue Doku
> zeigt seinen Einfluss auf amerikanische Verschwörungsmythen
Bild: Alex Jones am 14. Juni 2024 vor Gericht
Von Chris Schinke
Fast jeder vierte Amerikaner glaubt, dass der Amoklauf in der
Sandy-Hook-Grundschule in Newton in Conneticut 2012 definitiv oder
möglicherweise gestellt war. Dieser erschreckend hohe Anteil dürfte
größtenteils Alex Jones und seinem Onlineportal Infowars zu verdanken sein.
Welchen großen Einfluss Jones’Medienunternehmen auf die US-amerikanische
Öffentlichkeit hat, wird von vielen in Europa unterschätzt.
Zitiert wird diese Zahl in Dan Reeds neuer Doku „The Truth vs. Alex Jones“
vom Anwalt einer Opferfamilie des Massakers, die mit anderen Angehörigen
Jones vor Gericht zogen. Bereits zwei Stunden nachdem der Täter in die
Grundschule eingedrungen war und im Laufe seines Amoklaufs 26 Personen
getötet hatte, 20 davon zwischen sechs und sieben Jahren alt, insinuierte
Jones vor laufender Kamera, dass es sich bei dem Angriff um eine
„False-Flag-Aktion“ handeln müsse – inszeniert von der US-Regierung, um
aufrechten Bürgern ihre Schusswaffen abzunehmen.
Was im Dezember 2012 kurz nach dem Attentat noch wie das skurrile
Hirngespinst eines wenig ernst zu nehmenden politischen Wirrkopfes klang,
sollte sich aber zu einem bedrohlichen Massenphänomen entwickeln, das die
Züge einer paranoiden Massenpsychose trug.
Der Talkmaster Jones begann seine Karriere beim nichtkommerziellen
Public-Access-Fernsehen und einem lokalen Radiosender in Austin, Texas,
bevor er sich kurz nach 9/11 zum „Truther“ entwickelte – eine
verschwörungsideologische Bewegung, die hinter dem Anschlag auf das World
Trade Center einen „Inside Job“ wittert, das der Anschlag also ein
verdeckter Plan der Regierung gewesen sei.
Und mit dem Internet fand Jones ein Publikum für Verschwörungsmythen – und
entwickelte eine erfolgsträchtige rechtsradikale Medienstrategie: vier
Stunden Monolog pro Tag, sechs Tage die Woche. Je gewaltiger die Lüge,
desto erfolgreicher sein Geschäftsmodell. Zum Beispiel die inzwischen
berühmte Behauptung, dass die Regierung mit Chemikalien im Grundwasser die
„verdammten Frösche schwul machen“ würde.
Das mediale Aufsehen um den Amoklauf an der Sandy-Hook-Schule,
katapultierte Jones’Portal ins Zentrum gesellschaftlicher Aufmerksamkeit.
Tageszeitungen und Fernsehsender landauf, landab setzten sich in ihrer
Berichterstattung mit Jones’irren Thesen auseinander.
Die Doku „The Truth vs. Alex Jones“ erschien zunächst im März beim
US-amerikanischen Sender HBO, seit dem 4. August kann sie in Deutschland
auf Sky oder Wow gestreamt werden. Der Film beschäftigt sich mit dem
medialen Erfolg von Infowars und lässt anklingen, dass Tech-Unternehmen wie
Google, Facebook und X, ehemals Twitter, für die virale Verbreitung der
zersetzenden Falschberichte eine Mitverantwortung tragen.
Welches Ausmaß Jones’Anschuldigungen und Verleumdungen haben, zeigt Dan
Reeds Dokumentarfilm ausführlich, inhaltlich pointiert und mit großer
Akribie recherchiert. Vier Jahre lang arbeitete der Regisseur daran, der
sich zuvor mit seinem Film [1][„Leaving Neverland“ mit den
Missbrauchsvorwürfen gegen Michael Jackson beschäftigte].
Im Fokus des neuen Films stehen zwei von Opferfamilien angestrengte
Prozesse in den Bundesstaaten Texas und Connecticut, in denen Angehörige
auf Unterlassung klagten. Hier zeigt sich in keiner Weise ein geläuterter
Jones. Im Gegenteil, noch vor Gericht spinnt er seine kruden Thesen weiter,
die seit fast zehn Jahren eine Meute an Verschwörer*innen den
betroffenen Familien auf den Hals hetzten.
1,5 Milliarden US-Dollar Entschädigung muss Jones nun den Klägerfamilien an
Schadenersatz zahlen. Bis heute hat Jones, dessen Unternehmen Infowars
Konkurs angemeldet hat, von der Schadenssumme nichts zurückgezahlt. Zwar
hat ein US-Gericht jetzt die Liquidation seines Vermögens verfügt, doch
Infowars sendet wie gehabt weiter und verbreitet im US-Wahlkampf Mythen zu
satanischen Verschwörungen, an denen die Demokraten, [2][zuvorderst
Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris], beteiligt sein soll. Auch an
Spekulationen rund um den Attentatsversuch gegen Ex-Präsident Trump im Juli
2024 beteiligt sich das Verschwörungsportal.
Die große Stärke von Dan Reeds sehenswerter Doku zeigt sich, wenn sie das
schreckliche Charisma der Medienfigur Alex Jones zu ergründen sucht, der
sich während der Prozesse als Opfer einer Hexenjagd inszeniert. Man kann
als Zuschauer bei der Show, die Jones abzieht, nicht wegsehen, so sehr sie
einen auch anekeln mag.
„The Truth vs. Alex Jones“ bei Sky und Wow
6 Aug 2024
## LINKS
[1] /!5579077&SuchRahmen=Print
[2] /!6022548&SuchRahmen=Print
## AUTOREN
Chris Schinke
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.