# taz.de -- Vielleicht statt billiger lieber gar nicht bauen | |
> Trotz „Baukrise“ gibt es genug an Wohnraum in Deutschland. Er ist nur | |
> ungerecht verteilt | |
Von Jonas Wahmkow | |
Bei der Diskussion ums schnellere, billigere und vor allem nachhaltigere | |
Bauen fällt eine Frage häufig unter den Tisch: [1][Sollten wir überhaupt | |
noch neue Wohnungen bauen?] Schließlich gibt es in Deutschland mehr | |
Wohnraum als je zuvor. Zudem verursacht Bauen tonnenweise CO2 und | |
verschlingt enorme Mengen an Ressourcen. | |
[2][In der Bundesrepublik Deutschland wurden seit Beginn der Baustatistik | |
im Jahr 1950 durchschnittlich 405.000 neue Wohnungen pro Jahr | |
fertiggestellt]. Dementsprechend hat sich die Menge der Wohnungen in dem | |
Zeitraum mehr als verdreifacht. Die Bevölkerungszahl ist dagegen allerdings | |
nur leicht gewachsen: von 69 Millionen 1950 in BRD und DDR auf heute rund | |
83 Millionen Menschen. Drastisch erhöht hat sich die Wohnfläche pro Kopf: | |
Waren es 1990 noch 34,9 Quadratmeter, sind es heute 47,7. Laut Zensus | |
standen im Juli 2022 auch 1,9 Millionen Wohnungen leer, das entspricht 4,3 | |
Prozent des Bestandes. In den kommenden Jahrzehnten wird sich die Quote | |
wohl noch deutlich erhöhen, wenn viele der in geräumigen Einfamilienhäusern | |
wohnenden Babyboomer ausziehen oder sterben. | |
Trotzdem ist ein baldiges Ende des Neubau-Trends nicht in Sicht. Im | |
vergangenen Jahr wurden 294.000 Wohnungen fertiggestellt, Bausenatorin | |
Klara Geywitz will mit der selbstgesetzten Zielmarke von 400.000 sogar | |
deutlich mehr. Angesichts dieser Zahlen ist es umso erstaunlicher, dass die | |
ständig beschworene „Wohnungskrise“ nie hinterfragt wird. | |
Wenn also genug Wohnraum vorhanden ist, warum ist es trotzdem in deutschen | |
Großstädten unmöglich, eine Wohnung zu bekommen? Die Antwort liegt in der | |
ungleichmäßigen Verteilung des Wohnraums. Zum einen im örtlichen Sinne: | |
Viele deutsche Großstädte wachsen, während die Bevölkerung aus ländlichen | |
Regionen abwandert. Auch sozial ist der Wohnraum ungerecht verteilt: Reiche | |
und ältere Menschen wohnen in größeren Häusern, haben oft Zweitwohnungen in | |
Großstädten. | |
Einfach dort bauen, wo Wohnraum benötigt wird, und dort abreißen, wo er | |
leer steht, ist die bequemste Lösung des Problems. Doch dieses Schema F der | |
Wohnungspolitik hat einen großen Haken. Ungenutzte Flächen gibt es in | |
Deutschland praktisch nicht mehr. Für jeden Hektar neu ausgewiesenen | |
Baulands gehen wertvolle Biotope oder Ackerflächen verloren, dazu kommt das | |
Land, das für den Abbau von Baustoffen zerstört wird. Die zunehmende | |
Versiegelung steigert die Gefahr von Überschwemmung und heizt die Städte so | |
weit auf, dass die Gesundheit der Bewohner:innen ernsthaft gefährdet | |
ist. [3][Der Bausektor ist einer der größten CO2-Schleudern in | |
Deutschland], rund 10 Prozent der gesamten Emissionen fallen beim Bau von | |
Gebäuden an. | |
Die ökologischere Alternative ist, den vorhandenen Wohnraum effizienter zu | |
nutzen und gerechter zu verteilen. Ideen, wie das zu bewerkstelligen ist, | |
gibt es viele: Wenn ländliche Regionen durch gute infrastrukturelle | |
Anbindungen und günstige Immobilienpreise attraktiver werden, ziehen | |
gestresste Großstädter:innen freiwillig dorthin, besonders wenn sie | |
durch ein Recht auf Homeoffice ihren Job in der Stadt behalten können. | |
In den Städten können [4][Wohnraumpotenziale auch ohne Neubau erschlossen | |
werden, wie in der vergangenen Ausgabe der wochentaz ausführlich | |
vorgestellt wurde:] durch Tauschportale, in denen alte Menschen ihre zu | |
groß gewordenen Wohnungen gegen barrierefreie Alternativen eintauschen | |
können. Auch ein konsequentes Verbot von Zweit- und Ferienwohnungen sowie | |
spekulativem Leerstand schafft Wohnraum, ohne das Klima zu belasten. | |
Mittelfristig muss darüber nachgedacht, wie sich die Wohnfläche pro Kopf | |
reduzieren lässt: mit weniger Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf auskommen. | |
Eine Möglichkeit dafür ist gemeinschaftliches Wohnen – ob die klassische | |
WG, neumodisches Co-Living oder das gute alte Hausprojekt: Zusammen wohnt | |
es sich nicht nur ökologischer, sondern auch weniger einsam. | |
3 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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