# taz.de -- Ein Schlachtfeld der Interessen | |
> Christiane Grefe und Tanja Busse dokumentieren den Kampf um unsere Böden | |
Von Michael Wolf | |
Eine Million Bakterien, 120.000 Pilze und 25.000 Algen finden sich in | |
einem einzigen Teelöffel Erde. Nicht nur wegen dieser Fülle an Leben ist | |
der Boden ein komplexes Thema. Die Journalistinnen Tanja Busse und | |
Christiane Grefe stellen sein Management als eines der maßgeblichen | |
politischen Herausforderungen unserer Zeit dar, in seiner Bedeutung | |
vergleichbar und eng verknüpft mit dem Klimaschutz und der sozialen Frage. | |
In ihrem Buch „Der Grund“ verfolgen sie eine doppelte Strategie: Sie wollen | |
ihre Leserschaft zunächst von der Bedeutung ihres Themas überzeugen, | |
zweitens einen Überblick über die politische Konfliktlage vermitteln und in | |
einem dritten Schritt Wege aus der verfahrenen Situation aufzeigen. Dabei | |
nehmen sie sich Kapitel für Kapitel unterschiedliche Aspekte vor. | |
In einem Kapitel beschreiben sie, wie sich Landwirte, Investoren, | |
Bauunternehmer, Naturschützer, Autofahrer und Stromerzeuger um Flächen und | |
deren Nutzung streiten. Der Boden ist ein Schlachtfeld für mannigfaltige | |
Interessen, insofern es von ihm offenbar immer zu wenig gibt. Bauern | |
benötigen heute deutlich mehr Land, als in den Jahrzehnten zuvor, um | |
auskömmlich zu wirtschaften. Verpachtet bekommen sie es immer öfter von | |
Investoren, die selbst gar keine Berührungspunkte mit der Landwirtschaft | |
haben. Angelockt von hohen Wertsteigerungen kaufen Unternehmen aus der | |
Industrie oder der Dienstleistungsbranche seit einigen Jahren im großen | |
Stil Land. Mit den Umwelt- und Klimaschützern kommen weitere | |
Interessengruppen in diesem Wettlauf hinzu. Sie fordern unter anderem Platz | |
für bedrohte Tierarten und die Renaturierung von Mooren, um | |
Kohlenstoffdioxid zu binden. | |
Der Ampelregierung fällt in dieser Auseinandersetzung eine schwierige Rolle | |
zu, weil sie einander widersprechende Interessen verfolgt. Sie will mehr | |
Lebensmittelproduktion im Inland, Windkraft und Photovoltaikanlagen | |
für die Energiewende, zugleich aber auch hunderttausende neue Wohnungen pro | |
Jahr. Die Autorinnen resümieren: „Wenn man alle Nutzungswünsche | |
zusammenrechnet, dann ist potenziell jeder Quadratmeter mehrfach | |
verplant.“ | |
Das Problem ist also äußerst verworren, weshalb es in gewisser Weise | |
logisch erscheint, dass die Autorinnen ihre Leserschaft für ihre Lösung zum | |
Träumen auffordern. Und zwar von einer „Suffizienzrevolution“, das heißt | |
von einer Gesellschaft, in der schonend und maßvoll mit der Umwelt und | |
ihren Ressourcen gewirtschaftet wird. Die autofreien Stadtviertel sehen in | |
dieser Utopie so aus, wie sich grüne Stadtplaner das Paradies vorstellen: | |
Alle Häuser haben Solardächer, ihre Fassaden sind begrünt, dazwischen Blüh- | |
und Streuobstwiesen, grasende Schafe, Bienenstöcke, Gärten und | |
Gemeinschaftsräume für Leihgeräte und Lastenfahrräder. | |
Der Agrarsektor würde sich derweil ganz den Zielen der planetary health | |
diet verschreiben, ein von Ernährungsmedizinern und Ressourcenforschern | |
entwickeltes Programm, das die Versorgung von bald 10 Milliarden Menschen | |
auf nachhaltige Weise sicherstellen will. Wie dieses Ziel regional am | |
besten zu erreichen wäre, darüber würden auf dem Land offene Foren aus | |
Verantwortlichen und interessierten Bürgern beraten. | |
Auch wenn die Autorinnen das nicht so explizit schreiben, wird klar, dass | |
diese Idealvorstellung mehr mit Planwirtschaft und Räterepublik als mit | |
Kapitalismus und repräsentativer Demokratie zu tun hat. Um der Utopie im | |
Rahmen der gegebenen Ordnung näherzukommen, schlagen sie zum Abschluss eine | |
lange Reihe an Reformen vor: von einem Verbot von Neuversieglungen über | |
Anreize für Gemeinwohlarbeit bis hin zu einer umfassenden Steuerreform. | |
Der Boden, das wird spätestens an dieser Stelle klar, betrifft nicht nur | |
die Bau-, Verkehrs- und Landwirtschaft, sondern die Zukunft der ganzen | |
Gesellschaft. Hier liegt denn auch der größte Verdienst des Buchs von Busse | |
und Grefe. | |
Als Einstieg ins Thema ist es etwas zu meinungsstark und auch zu | |
detailliert geraten, aber als Forderung nach einer angemessenen politischen | |
Debatte kommt es gerade recht. | |
20 Jul 2024 | |
## AUTOREN | |
Michael Wolf | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |