# taz.de -- kritisch gesehen: arbeiten der kyjiwer fotografin lisa bukreyeva in… | |
Bild: Wandfüllende Dringlichkeit: Bukreyeva geht es nicht um Dokumentarfotogra… | |
Am besten, man setzt sich erst mal hin. Und man hat genug Zeit mitgebracht, | |
um zu schauen und aufzunehmen, was zu sehen ist. Es ist die erste | |
Ausstellung, mit der sich die Hamburger Freelens-Galerie, immerhin der | |
Ausstellungsraum des wichtigsten Verbandes bundesdeutscher | |
DokumentarfotografInnen, dem Krieg gegen die Ukraine widmet. Der aber trat | |
der Weltöffentlichkeit ja vom ersten Tag an entgegen mit Bildern und | |
nochmals Bildern. | |
Er tut das auch weiter, so sehr wir uns bemühen mögen, ihn aus unserem | |
Alltag zu bannen. Nun sind ausgewählte Fotoarbeiten aus der Serie „Scars of | |
a Lost Humanity“ von Lisa Bukreyeva zu sehen. Es sind stille Bilder, | |
Dokumente aus einem schwer zu fassenden Zwischenreich, überwiegend in den | |
wieder befreiten Regionen um die Stadt Butscha herum und bei Charkiw | |
aufgenommen, die also meist zweimal von der Gewalt überrollt wurden und die | |
erneut unter Beschuss stehen | |
Man sieht keine Ambulanzen, keine Soldaten; auch die alte Frau, die | |
inmitten hastig zusammengepackten Gepäcks auf dem Boden einer staubigen | |
Straße hockt und nicht weiß wohin, fehlt. Stattdessen sind es fast | |
ausschließlich Stillleben und Landschaftsbilder, die präsentiert werden: | |
Eine zerschossene Bushaltestelle auf dem Land zeigt sich als Polyptychon. | |
Ein Geschoss ist in einem Baum steckengeblieben, nun müht sich der Baum | |
weiterzuwachsen, vielleicht kann er das Geschoss langsam einschließen. Nur | |
einmal ist der Umriss eines Mannes zu sehen, der offenbar versucht, eine | |
Kiste aus einem Haus zu holen, und sein weißes Hemd und seine weiße Hose | |
strahlen ungehörig hell, während daneben ein ausgebranntes Auto langsam | |
zuwächst. | |
## Leben in einer anderen Realität | |
Und dann sind da zwei Jungen, sie stehen in einem zerbombten Haus, der | |
Boden ist mit Schutt und Trümmern schier übersät: Der eine Junge ist | |
barfuß, der andere trägt Turnschuhe mit Klettverschluss, und ein | |
Lichtstrahl fällt auf die beiden, die uns ernst anschauen. Es ist ein | |
wandfüllendes Bild von großer Dringlichkeit, auch von großer religiöser | |
Tiefe, das man nicht vergessen wird. | |
Lisa Bukreyeva (Jahrgang 1993) wohnte im siebzehnten Stock eines Hochhauses | |
in Kyjiw, wie am Eröffnungsabend die Laudatorin, die in Hamburg lebende | |
ukrainische Schauspielerin, Tänzerin und Performerin Nika Kushnir | |
berichtete. Da es meist keinen Strom gebe, sei etwa die Wasserversorgung | |
unterbrochen, gehe auch der Fahrstuhl nicht, und Lisa Bukreyeva müsse | |
beispielsweise jeden Liter Wasser selbst hochtragen. Da habe man eben | |
anderes im Sinn, als für eine Ausstellungseröffnung nach Hamburg zu kommen | |
oder nun E-Mails mit Fragen nach der Konzeption ihrer Arbeiten, so sie denn | |
überhaupt zugestellt werden können, zu beantworten, ließ sie sehr | |
freundlich das Vernissagen-Publikum wissen. Sie lebe in einer ganz anderen | |
Realität. | |
Noch etwas habe Bukreyeva erzählt. Sie könnte jetzt eine Menge Geld | |
verdienen, würde sie als Fotojournalistin arbeiten und den Bildermarkt mit | |
Kriegsbildern beliefern. Das aber will sie nicht. Sie will nur Kunst | |
machen, ihre Kunst. Und das macht sie. Frank Keil | |
Bis 19. September, Freelens-Galerie, Hamburg | |
29 Jul 2024 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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