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# taz.de -- Nationalstolz – muss das ein?: Fahne oder Liebe
> Aron träumt, dass er sich zur Feier der Fußball-EM der Männer die
> deutschen Farben auf die Wangen malt. Seine Freundin ist entsetzt.
Bild: Viele finden die deutsche Fahne voll OK, aber würde Sie die tragen?
[1][taz FUTURZWEI] | Ich habe geträumt wie ich mich schminke. Meine Hand
fährt langsam über meine Wange. Sie hinterlässt schwarz-rot-goldene Spuren.
Eine Deutschlandfahne – nur ganz klein, dafür mitten im Gesicht. Nach dem
Aufwachen erzähle ich Mathilda davon beim Frühstück.
„Ich habe kein Problem damit, wenn andere das machen“, sagt Mathilda,
während sie eine Laugenecke mit veganer Butter bestreicht und dabei so
konzentriert mit spitzen Fingern Salz darüber streut, als würde das
Brötchen andernfalls explodieren, „Ich verstehe nur den Urge nicht“.
„Aber was wäre, wenn ich Deutschlandfarben im Gesicht tragen würde?“, fra…
ich. Immerhin ist gerade Fußball-EM in Deutschland.
„Oh nee, bitte nicht!“
„Das war doch nur ein Traum!“, sage ich sofort entschuldigend und ärgere
mich über meinen defensiven Ton, der sich an Mathildas „Das geht gar
nicht“-Stimme anschmiegt.
## Das bisschen Patriotismus?
Ich kann sie ja verstehen. Aber warum eigentlich, denke ich, während mir
der Rest meines Traumes in die Erinnerung tritt: Es ist 2006 und WM „im
eigenen Land“ wie es heißt.
Ich trage ein schwarzweißes Trikot mit einer 13 drauf, eins von Michael
Ballack. Ich google Ballack, der damals Kapitän war, jetzt auch schon 47
ist und offensichtlich als EM-Experte im Fernsehen auftritt. Ich stelle mir
vor, was mein früheres Idol als Kommentator meines heutigen Verhaltens hier
beim Frühstück sagen würde: „Es ist völlig unverständlich, dass man so
passiv und ängstlich-zögerlich in so ein Spiel geht“!
„Wieso kann ich mich denn nicht schwarz-rot-gold schminken?“, frage ich
Mathilda daher nun mit etwas mehr Nachdruck.
„Kennst du den Balkon über mir?“, fragt sie. Ich nicke. Ein
Mehrfamilienhaus, Grill, weißer Wäscheständer – schwarz rot goldene Fahne
wie ein Handtuch zum Trocknen gehängt. Deutschland, ein
Sommerstillleben.„Das gibt mir so einen seltsamen Patriotismus-Vibe“, sagt
Mathilda. „Und momentan finde ich das eh ein seltsames politisches Signal.“
„Aber es wäre doch ich, der die Fahne schwenkt“, sage ich noch mal, weil
mir einfach nichts anderes einfällt.
„Wenn ich aber jemanden anderen außer dir sehe, der die Deutschlandfahne
schwenkt, dann weiß ich ja nicht ob der die aus rechten oder linken Gründen
schwenkt“, antwortet sie.
Während wir frühstücken, stoße ich auf eine aktuelle Umfrage der
Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) zur Aussage „Ich mag es, Deutsche
Flaggen im Stadtbild zu sehen“. 28 Prozent der befragten Deutschen stimmen
„voll“, ein knappes Drittel „eher“ zu. Und ein Viertel lehnt sie eher o…
ganz ab.
## Keine Nazi-Fahne
„Eigentlich geht die schwarz-rot-goldene Fahne vermutlich ja auf die Farben
der Widerstandskämpfer gegen Napoleon zurück“, sage ich, während ich immer
mehr Tabs zum Thema „Deutschlandfahne“ öffne.
Die Fahne war erst mit der Weimarer Republik wieder Nationalflagge, wurde
durch die Nazis abgeschafft und nach dem Ende der NS-Diktatur als Symbol
der Freiheit mit ihren schwarz-rot-goldenen Farben sogar im Grundgesetz
verankert.„Aber was ist das denn jetzt für ein Deutschland, für das gerade
Fahnen geschwenkt werden?“, sagt Mathilda, während sie unbeeindruckt und
ohne aufzusehen aus ihrer Kaffeetasse trinkt und daran erinnert, wie dieses
Land immer rechter wird.
„Kann es sein“, sage ich, weil mir nichts darauf einfällt und lasse eine
männertrollige Kunstpause, „dass du dich gar nicht wirklich auf das Thema
einlassen kannst?“
„Ist das dein Ernst?“, ruft Mathilda. „Wir reden hier seit einer Stunde
über deinen blöden Deutschlandfahnen-Traum!“
## Der Traum von 2006
Dann kommt eins zum anderen. Die Situation eskaliert, wir räumen den
Frühstückstisch nicht ab und Türen knallen. Ich sitze allein vor meinem
Handy, lösche den Ballack-Tab und denke noch einmal an das Gefühl von 2006.
Es war meine erste WM. Ich war damals neun Jahre alt und fand alles geil:
die Gemeinschaft, die vielen Spiele, das Interesse und „Die Welt zu Gast
bei Freunden“ mit Deutschlandfahnen als Deko.
Später dachte ich dann nur selten daran, dass es schön ist, in Deutschland
zu leben.
Vor Kurzem bin ich allerdings während einer Recherche auf eine Beschwerde
eines von einem Amtsgericht verurteilten Bürgers nach einer Demo aus den
90ern gestoßen, der sich an das Bundesverfassungsgericht gewendet hat. Er
hatte als Versammlungsleiter das Lied „Deutschland muss sterben“ gespielt:
„Schwarz ist der Himmel, Rot ist die Erde
Gold sind die Hände der Bonzenschweine
Doch der Bundesadler stürzt bald ab.“
Diese Zeilen, mit dem vierfach wiederholten Vers im Refrain„Deutschland
muss sterben, damit wir leben können“, sollen aus Sicht seines Anklägers
und des Amtsgerichts den Staat und seine Symbole verunglimpft haben.
Die Klage gegen ihn wurde auf mehreren Seiten ausführlichst zurückgewiesen
und die Band „Slime”, die Urheber dieses Liedes, mit allen Mitteln der
Verfassung als konstruktive Mitwirkende dieser Demokratie einbezogen. Der
Song wird als „Kunst im Sinne des Grundrechtes auf Kunstfreiheit“
bezeichnet und der Text später sogar mit Heinrich Heines „Schlesischen
Webern“ verglichen. Als ich das las, dachte ich mir: Wie geil ist
eigentlich dieses Land, dass man es scheiße finden kann, weil es – typisch
deutsch – Gesetze dafür gibt, die dir dieses Recht garantieren.
## Wofür schwenkst du die Fahne?
Dafür steht doch unsere Fahne. Eine freie, liberale Demokratie in diesem
Land, die sich gegen all das stellt, was Faschos wollen: ein Land für
„Blutdeutsche“, frei von Abweichlern in allem was nicht hetero, nicht
„deutsch genug“, nicht hörig ist.
Ideen, gegen die ich jederzeit bereit bin, zu protestieren, aber trotzdem
würde ich mir doch niemals eine Deutschlandfahne über meinen Balkon hängen.
Irgendwie auch inkonsequent, denke ich und daran, wie Mathilda mir erzählt
hat, dass sie sich nun einmal automatisch seltsam fühlt, wenn sie Leute mit
Nationalflaggen sieht. Und mir geht es dabei ja nicht anders. Es ist wie
ein Wahrnehmungsreflex: wer eine Fahne hat, wirkt irgendwie verdächtig.
Wie der Typ, der vor ein paar Wochen in seinem Garten in meinem
Heimatbundesland Sachsen-Anhalt eine Deutschlandfahne wehen ließ und
daneben die Holzskulptur einer kleinwagengroßen Rostbratwurst im Brötchen
stand. Ich fand das seltsam, habe den Mann im Garten aber nie gefragt, was
er sich dabei denkt.
Und erst vor ein paar Tagen habe ich einen Typen mit Sonnenbrille und
Tanktop bei einem Triathlon im Publikum stehen sehen, der drei Stunden lang
unermüdlich eine Deutschlandfahne geschwenkt hat.„Wieso machst du das?“,
habe ich ihn gefragt. „Um meinen Kumpel anzufeuern!“
Ich habe auf die Fahne gesehen. Das Ding war sicher drei Meter groß und in
der Mitte ein Bundesadler. Ich habe den Typen nicht gefragt, was er wählt.
Aber rein statistisch kann es gut sein, dass er rechts-konservativ drauf
ist. Bei der Europawahl haben 17 Prozent der Wähler zwischen 16 und 24 die
CDU, 16 Prozent die AfD gewählt.
„Und wieso schwenkst du für deinen Kumpel die Deutschlandfahne?“, fragte
ich.
„Na, damit man mich auch gut erkennt“, sagte er verwundert.
Ich würde die Fahne nicht tragen, andererseits will ich auch nicht, dass
die Rechten die jetzt einfach so bekommen. Die wollen damit keine
Willkommensgrüße senden, sondern ihre sichtundurchlässigte und mit
Schäferhunden bewachte Gartenbezäunung erweitern. Ich weiß nur nicht, was
man dagegen machen kann – noch nicht.
Nur will ich jetzt ganz sicher nicht deswegen mit Mathilda streiten, denke
ich, während ich an ihre Tür klopfe und versichere, dass ich mich heute auf
keinen Fall schwarz-rot-gold schminken werde und es mir um etwas anderes
geht.
„Ich liebe dich“, sage ich, als sie die Tür öffnet. „Noch viel, viel me…
als Deutschland.“
„Das will ich auch hoffen“, sagt sie und küsst mich.
■ [2][„Stimme meiner Generation“ – die Gen-Z-Kolumne] des Magazins taz
FUTURZWEI, geschrieben von Ruth Lang Fuentes und Aron Boks, erscheint in
loser Folge auf [3][tazfuturzwei.de].
3 Jul 2024
## LINKS
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[2] /taz-FUTURZWEI/!v=a9eb2f40-142b-4923-bb85-47d6e8b479c9/
[3] /FUTURZWEI/!v=8ce19a8c-38e5-4a30-920c-8176f4c036c0/
## AUTOREN
Aron Boks
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