# taz.de -- Mehr Antisemitismus, mehr Diskriminierung | |
> Ein Bericht zeigt, wie der 7. Oktober Judenhass in Deutschland neu | |
> entfachte. Einen Anstieg gab es 2023 auch bei anderen | |
> Benachteiligungsformen | |
Von Frederik Eikmanns und Sabrina Osmann | |
Erst sind es arabische Beschimpfungen, die die zwei Männer dem jüdischen | |
Israeli entgegenschleudern, dann bespucken sie ihn, bevor sie treten und | |
schlagen. Am Ende versuchen die Täter noch das Handy ihres Opfers zu | |
stehlen. Dieser Angriff, der sich im Sommer 2023 an einer Berliner | |
S-Bahn-Station ereignete, ist einer von rund 4.800 antisemitischen | |
Vorfällen, die der neue Jahresbericht des Bundesverbands der Recherche- und | |
Informationsstellen (Rias) dokumentiert. 2022 waren es nur rund halb so | |
viele Fälle gewesen. | |
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sprach von | |
„absolut katastrophale Zahlen“. Er forderte eine Verschärfung des | |
Strafrechts: Auch antisemitische Codewörter sollten als Volksverhetzung | |
eingestuft werden. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte, es | |
gebe großen Handlungsbedarf. | |
Rias dokumentierte insgesamt 121 gewalttätige Vorfälle, darunter 7 Fälle, | |
die als „extreme Gewalt“ eingeordnet werden. Registriert wurden außerdem | |
fast 200 Fälle antisemitischer Bedrohung. Dazu kommen über 300 Fälle von | |
Sachbeschädigung. Den restlichen Großteil der Fälle ordnen die | |
Autor*innen der Kategorie „verletzendes Verhalten“ zu. Dabei geht es | |
etwa um Beleidigungen oder um antisemitische Schmierereien an Hauswänden. | |
Über die Hälfte der Vorfälle, die Rias erfasste, ereignete sich nach dem 7. | |
Oktober, als die islamistische Hamas Israel überfallen und über 800 | |
israelische Zivilist*innen ermordet hatte sowie 250 Zivilist*innen | |
in den Gazastreifen verschleppte. Laut Bericht bot dies eine | |
„Gelegenheitsstruktur für antisemitische Äußerungen und Handlungen in | |
Deutschland“: Teils als unmittelbare Reaktion auf den Angriff der Hamas, | |
teils später vor dem Hintergrund [1][des Gazakriegs]. Insgesamt ordnet | |
Rias fast drei Viertel der erfassten Vorfälle dem israelbezogenen | |
Antisemitismus zu. | |
Die Co-Autorin des Berichts, Bianca Loy, fordert im Gespräch mit der taz | |
„konsequente und flächendeckende“ Strafverfolgung antisemitischer | |
Täter*innen. „Wir sehen immer noch, dass Polizisten, Staatsanwälte und | |
Richter codierten Antisemitismus teils nicht erkennen“, so Loy. Die | |
Psychologin und Geschäftsführerin der Beratungsstelle Ofek, Marina | |
Chernivsky, sagte der taz, der um sich greifende Antisemitismus erzeuge bei | |
Juden*Jüd*innen ein „Gefühl der diffusen Schutzlosigkeit“ und ein „Klima | |
der Angst und Verunsicherung“. | |
Einen deutlichen Anstieg verzeichnete 2023 auch die | |
Antidiskriminierungsstelle des Bundes bei der Zahl der Beratungsanfragen. | |
Ferda Ataman, die unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, | |
sprach angesichts der insgesamt knapp 11.000 Fälle von einem „Rekordhoch“. | |
[2][Rassistische Diskriminierung] machte mit 41 Prozent den größten Anteil | |
der gemeldeten Fällen aus. An zweiter und dritter Stelle folgten | |
Benachteiligungen aufgrund von Behinderung und des Geschlechts (25 bzw. 24 | |
Prozent). Nur 73 Personen wandten sich wegen antisemitischer Vorfälle an | |
die Antidiskriminierungsstelle. | |
Ataman erneuerte ihre Kritik am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, auf | |
dessen Basis die Antidiskriminierungsstelle arbeitet. Sie soll Menschen | |
unterstützen, die aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer | |
Weltanschauung, Religion, einer Behinderung, ihres Alters, wegen ihrer | |
sexuellen Orientierung oder aus rassistischen Gründen benachteiligt werden. | |
Ataman beklagte, das AGG [3][weise große Lücken bei | |
Diskriminierungsmerkmalen] wie Sozialleistungsbezug, Staatsangehörigkeit | |
oder Sprache auf. Seit zwei Jahren werde die von der Bundesregierung im | |
Koalitionsvertrag versprochene Reform verschleppt. Insbesondere | |
appellierte sie an den zuständigen Justizminister Marco Buschmann (FDP), | |
endlich zu handeln. „Das ist die Regierung den Betroffenen schuldig.“ | |
Der SPD-Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung, Takis | |
Mehmet Ali, sagte im Gespräch mit der taz, es gebe „ein Umsetzungsdefizit, | |
weil auf einigen Ebenen der politische Wille fehlt“. Die Grünen-Abgeordnete | |
Schahina Gambir sagte der taz: „Wir brauchen zum Beispiel eine Reform des | |
AGG und eine Intensivierung der Demokratieförderung – und das so schnell | |
wie möglich.“ | |
26 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
Sabrina Osmann | |
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