# taz.de -- Appell aus dem Schutzraum | |
> Eine Performance von Maya Arad Yasur und Sapir Heller im Maxim Gorki | |
> Theater versucht zu erklären,„Wie man nach einem Massaker humanistisch | |
> bleibt in 17 Schritten“ | |
Von Tom Mustroph | |
Der Abend beginnt mit Tierfilmen. Niedliche Fellwesen tummeln sich in ihrem | |
natürlichen Habitat. Es dauert jedoch nicht lange, bis sich das Raubtier im | |
Raubtier zeigt und alles auf einen blutigen Kampf hinausläuft, aufs Fressen | |
und gefressen Werden. | |
Diesem Prinzip wollen die Autorin Maya Arad Yasur, die in Israel geboren | |
wurde und lange in den Niederlanden lebte, und die Regisseurin Sapir | |
Heller, ebenfalls in Israel geboren und jetzt in Deutschland lebend, nicht | |
folgen. Zehn Tage nach dem [1][Massaker der Hamas] schrieb Yasur „Wie man | |
nach einem Massaker humanistisch bleibt in 17 Schritten“ als eine Art | |
Selbstvergewisserungstext, um sich vom Hass auf die Täter des Massakers und | |
auch vom Hass auf deren Mütter zu befreien. Der Text wird derzeit in mehr | |
als einem Dutzend deutscher Theater, wie am Freitag im Gorki, als | |
Performance von jeweils einer Spielerin aus dem Ensemble nach | |
Regieanweisungen von Heller aufgeführt und ist ein universeller Appell an | |
Menschen, die Opfer von Grausamkeiten wurden, nicht die eigene | |
Menschlichkeit zu verlieren. | |
Denn der Hass ist da. Hell lodert seine Flamme auf [2][angesichts der | |
Gewalt und Brutalität des Erlebten und Übermittelten,] angesichts der | |
schmerzhaften Erkenntnis der eigenen Ohnmacht. Dieses Auflodern scheint | |
immer wieder durch in den „17 Schritten“. Sie muten an wie ein Ritual, sich | |
von dieser Flamme nicht verzehren zu lassen. Im Podiumsgespräch nach der | |
Aufführung betont Yasur, dass sich der Text vor allem an Frauen richte, die | |
Opfer und Zeuginnen von Massakern sind. | |
Die Ratschläge beginnen simpel: Schalte den Fernseher aus, ziehe dich aus | |
den sozialen Netzwerken zurück. Mediale Bilder, Yasur nennt sie | |
„Kriegspornos“, könnten erneut traumatisieren. Versuche dennoch auf dem | |
Laufenden zu bleiben, lautet der zweite Rat, nicht über Bilder allerdings, | |
sondern durch Lesen und Hören. | |
Schritt für Schritt wird ein ganzes Gebäude aus Ratschlägen errichtet. | |
Während eine Frauenstimme aus dem Off spricht, agiert Marina Frenk auf der | |
Bühne. Erst bilden ein Tisch und ein Stuhl die Standardeinrichtung eines | |
Schutzraums. Frenk kauert sich unter die Möbel, befreit sich später aber | |
davon. Ihre Gesten werden größer und kraftvoller. Es handelt sich um eine | |
Art Kommentar zum Text, mal verstärkend, mal illustrierend, mal | |
kontrastierend. Stärker ins Bewusstsein dringt statt der Bildspur aber doch | |
die Textspur, ganz so, als hätte man sich instinktiv die Anweisungen Yasurs | |
zu eigen gemacht. | |
Immer wieder ertönt: „Vergiss nicht, auch auf der anderen Seite der Grenze | |
leben Mütter.“ Es ist der Kernsatz des Abends, der Leitgedanke, selbst in | |
größtem Schmerz und eigener Not an die Menschen und die Menschlichkeit auf | |
der anderen Seite zu denken. | |
In der Podiumsdiskussion nach dem Stück betont Yasur, dass sie den Text vor | |
dem massiven Bombardement Gazas geschrieben habe. Die „17 Schritte“ sind | |
ein Dokument, das sich an Opfer richtet, in der Hoffnung, dass diese nicht | |
auch zu Tätern werden. Man würde sich wünschen, dass Yasurs Text zum | |
Ausbildungsprogramm von Kampfpiloten und Artilleristen der israelischen | |
Armee gehört. | |
Er findet jedoch vor allem auf deutschen Bühnen statt. In Israel fand sich | |
bisher nur das Jaffa Theatre dazu bereit, das traditionell arabische und | |
jüdische Kultur zu verbinden sucht. Das Denken an die Mütter jenseits des | |
Grenzzauns sei selbst für viele Menschen aus Israels liberaler Kunstszene | |
schwer erträglich, stellte Yasur traurig zu Beginn der Deutschlandreise | |
ihres Stücks Anfang des Jahres fest. Humanistisch zu sein und zu bleiben, | |
diesseits und jenseits von Grenzen, ideologischen Positionen und religiösen | |
Glaubensvorstellungen – das ist die große Aufgabe gerade heute. | |
24 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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