# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Ruth Lang Fuentes: Erlebnispark Ringbahn | |
Eine komplette Runde Ringbahn. Das klingt nach ein paar Späti-Bier und | |
stundenlangem Rumsitzen, während man den Spaniern und Italienern beim | |
Toreschießen zuschaut, und nach der perfekten Samstagabendbeschäftigung. | |
„37 Kilometer, 27 Stationen, eine Sozialstudie“, sagst du und weißt, dass | |
ich auf jeden Fall dabei bin. Die spannendsten Begegnungen passieren ja für | |
gewöhnlich nachts in den Berliner Öffis. Manchmal auch die verstörendsten. | |
Mal sprechen Menschen mit einer Heuschrecke in ihrer Hand, während neben | |
ihnen jemand in orangenen Klamotten Hare Krishna singt, ein Pärchen | |
unbedingt ein Sofa von A nach B transportieren muss und ein anderer dir | |
THC-Fruit-Loops anbietet. Am Ende bleibt es immer eine zufällige Ansammlung | |
von Menschen, zu einem zufälligen Zeitpunkt, in einem zufälligen Waggon. Im | |
besten Fall unterhalten sich zwei zugekokste Yuppies mit einem bekifften | |
Punk. Im schlimmsten Fall starren alle auf ihr Handy, während ein | |
Obdachloser angemacht wird. | |
Wir kaufen uns ein weiteres Bier und auf geht’s. Wir fahren im | |
Uhrzeigersinn des „Großen Hundekopfs“, wie die Ringbahnstrecke genannt | |
wird. Zwischen Ostkreuz und Sonnenallee ist es am vollsten. Und Party liegt | |
in der Luft. Wobei: ein Pärchen transportiert lieber ihre Weedpflanzen nach | |
Hause. Eine Frau Anfang dreißig scheint ihre innere Uhr ticken zu hören. | |
„Die Sabine, die hat jetzt ein Kind bekommen. Und die Anja, die ist auch | |
schwanger. Weißt du schon, oder?“, redet sie auf ihren etwas teilnahmslosen | |
Sitznachbarn ein. „Beim Simon und der Lara könnte ich’s mir auch | |
vorstellen, dass die bald setteln und Kinder kriegen. Na ja, und wir sind | |
halt auf Bumble.“ „Ich probier jetzt OkCupid …“, sagt er. „Hilft aber… | |
nicht viel.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Berlin ist auch nicht die beste | |
Stadt zum Daten.“ Am Ostkreuz steigen sie aus. Ich schaue dich an, du küsst | |
mich und ich lache. | |
Ab dem Südkreuz wird es dunkel. Und leer. „Irgendwie ist der Westen echt | |
trist“, sagst du. Wenige Menschen steigen noch ein, ein paar aus. Einer | |
schläft, einer fragt uns nach Geld und betont, er sei „no junkie, but from | |
Ukraine“. Wir helfen einem verstrahlten Typen, rechtzeitig im Wedding | |
auszusteigen. | |
Dann sind wir bald wieder im Osten, die Bahn füllt sich wieder mit | |
Partypeople und einer Gruppe schnöseliger Italiener. Wir passieren ein | |
zweites Mal das Ostkreuz. Unsere Flaschen sind leer. Wir springen aus dem | |
Waggon, lassen die Leute hinter uns weiterfahren, nach Hause, in den | |
nächsten Club, vielleicht auch nur weiter im Kreis. Es ist kurz nach zwei | |
und irgendwo am Ostkreuz wird doch noch eine Kneipe aufhaben und uns jemand | |
ein Bier einschenken. Denken wir. Wir laufen weit. Sehr weit. An Spätis und | |
Schickimicki-Bars vorbei. Und schließlich sogar über die Oberbaumbrücke. | |
„Lass es uns noch in der Wiener Straße probieren“, sage ich schon etwas | |
müde. | |
„Kreuzberger Nächte sind nicht mehr lang. Sorry“, sagt der Kellner in der | |
ersten Kneipe, in die wir reinlaufen. Sie ist leer. Er räumt gerade die | |
letzten Gläser weg. „Gibt leider kein Bier mehr. Wir schließen. Lohnt sich | |
heute nicht mehr …“ | |
Wir schauen bei der nächsten. Auch hier ist es schon sehr leer, drei oder | |
vier Leute hängen am Tresen herum – ein ziemlich besoffenes Pärchen liegt | |
sich in den Armen, ein älterer Typ starrt in sein Weizenglas, ein anderer | |
in Schlaghose feiert wohl konsequent den Stil der 70er. | |
„Kriegt man hier noch ein Bier?“, fragen wir ohne viel Hoffnung. | |
„Ja, natürlich“, sagt der Typ hinter der Theke. Schenkt uns noch zwei | |
Mexikaner mit dazu ein und dreht die Musik auf. „Das ist Nina Simone“, | |
sagst du. „Korrekt“, sagt der Kneipenbesitzer, grinst und feiert den Blues. | |
Irgendwann nennt uns der 70er-Jahre-Typ „the sexiest couple in Kreuzberg“ | |
und der hinter der Theke schenkt uns – vermutlich, weil wir Nina Simone | |
auch absolut feiern – noch mal zwei Mexikaner ein und sagt: „Kommt bald | |
wieder.“ Und alles ist so, wie es sein soll in der Wiener Straße. | |
Es dämmert über den Dächern von Kreuzberg, als wir Richtung Kotti laufen. | |
Du trinkst im Gehen noch deinen Krug Bier leer, den man dir zum Abschied | |
geschenkt hat. Ich rauche meine geschnorrte Zigarette. Noch ist Kreuzberg | |
nicht ganz tot, denke ich. Zurück nehmen wir die U8. | |
18 Jun 2024 | |
## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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