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# taz.de -- Helfen Klauseln gegen Diskriminierung?
> Deniz Yücel, Teresa Koloma Beck und Joe Chialo diskutierten auf dem
> Bücherfest über Antisemitismus im Kulturbetrieb
Von Rosa Budde
Gibt es Antisemitismus im Kulturbetrieb? Und wenn ja, helfen dagegen
rechtliche Beschränkungen wie die gescheiterte Antidiskriminierungsklausel?
Darüber diskutierten im Großen Zelt des Bücherfests in fast tropischer
Hitze der Journalist und Sprecher des PEN Berlin Deniz Yücel, die
Soziologin Teresa Koloma Beck und der Berliner Senator für Kultur und
Gesellschaftlichen Zusammenhalt Joe Chialo (CDU). Chialo hatte die
Antidiskriminierungsklausel für künstlerische Förderanträge Ende letzten
Jahres eingeführt, unter anderem als Reaktion auf zunehmende antisemitische
Vorfälle nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, und war damit auf
Kritik gestoßen. Nach nur einem Monat wurde die Klausel wegen Zweifeln an
ihrer Rechtssicherheit zurückgezogen.
Bei dem Gegenwind zu seinem Vorstoß sei es immer nur um Antisemitismus
gegangen, sagte Chialo, dabei habe sich die Klausel auch auf andere
Diskriminierungsformen wie Rassismus oder Ableismus bezogen. Darüber habe
sich aber niemand echauffiert.
Teresa Koloma Beck von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg bemerkte
dazu, der Eindruck, dass die Kulturszene ein besonderes Problem mit
Antisemitismus habe, entstünde dadurch, dass als Maßstab, wie auch in der
Antidiskriminierungsklausel, die umfassende IHRA-Definition als
Antisemitismusbegriff verwendet würde. Das erschwere es, Themen im Kontext
des Nahostkonflikts zu besprechen, da der Antisemitismusvorwurf zu schnell
im Raum stehe. Außerdem sprach sie sich mit Blick auf ihre
DDR-Sozialisierung gegen „Bekenntnisse für Geld“ aus.
Deniz Yücel bezeichnete die Antidiskriminierungsklausel als
„Übersprungshandlung“. Das Problem sei nicht nur die strenge
IHRA-Definition, sondern auch dass andere Begriffe wie Vielfalt oder
Queerfeindlichkeit zu schwammig formuliert worden seien. Es sei ein Fehler,
den Anspruch an Verwaltungsorgane zu stellen, sie sollten über Einzelfälle
entscheiden. Mit Blick auf künftige Wahlen sieht Yücel die Gefahr, dass
ähnliche Klauseln einmal zu anderen Werten, wie etwa Heimattreue,
verpflichten könnten. Außerdem sieht er ein generelles Missverhältnis
zwischen vehementer Kritik am Kulturbetrieb und der Realpolitik, etwa wenn
Bundeskanzler Olaf Scholz den türkischen Präsidenten und
Hamas-Sympathisanten Erdoğan empfängt.
Irgendwann wurde es Chialo zu viel der Kritik an seiner
Antidiskriminierungsklausel: „Wir haben sie zurückgezogen, wir haben es
verstanden. Wartet doch erst mal auf die neue Klausel.“ Ein Dezernat sitze
daran, eine neue, rechtssichere Klausel zu entwickeln. Beck sprach sich
allerdings grundsätzlich dagegen aus, Antidiskriminierung in Gesetzesform
zu gießen. Sie wies darauf hin, dass Menschen Diskriminierung erfahren
können, ohne dass diese gewollt sei. Die Erfahrung sei real und
schmerzhaft, aber es führe zu nichts, als Reaktion
Diskriminierungsintentionen zu unterstellen, wo keine seien. So sei es auch
kontraproduktiv, mit der Polizei gegen vermeintliche Täter:innen
vorzugehen. Statt in Repression sollten Ressourcen besser in die Arbeit an
Gesprächskultur und Awarenessprozessen fließen. Chialo sieht das anders:
„Demokratie braucht Sanktionsfähigkeit und Stärke, von alleine passiert in
einer Demokratie meistens nichts.“
Zwischen Applaus und Buhrufen am Samstag fielen häufig die Wörter
Demokratie und Demokratiefeindlichkeit. Chialo blieb dabei, er will
verhindern, dass Steuergelder Demokratiefeinden zu zugutekommen. Beck
meint, gegen den Krieg in Gaza zu sein, sei alles andere als eine
demokratiefeindliche Haltung. Alle drei auf der Bühne waren sich einig, wie
wichtig es sei, kontroverse Themen respektvoll zu verhandeln. Ohne
gemeinsame Begriffe dürfte das allerdings schwierig werden.
10 Jun 2024
## AUTOREN
Rosa Budde
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