# taz.de -- Ein Ufo, leer und verwittert | |
> Die Berlinische Galerie zeigt zwei Filme der georgischen Künstlerin und | |
> Filmemacherin Tekla Aslanishvili | |
Von Katja Kollmann | |
Die Kuh nimmt den Zebrastreifen. Die Straße ist vierspurig, aber solange | |
die Kamera die gemächlich dahinschreitende Kuh beobachtet, nähert sich kein | |
einziges Auto dem Fußgängerüberweg. Und auch kein Mensch. Palmen wehen | |
langsam im Wind. Im Hintergrund steht ein einsames leerstehendes | |
Architektur-Ensemble mit der Anmutung eines Ufos. Dann sitzt eine junge | |
Frau irgendwo, nur nicht dort, in einem Büro, positioniert sich | |
professionell vor der Kamera und entwirft das Bild eines riesengroßen | |
Containerhafens, dessen Ausbau eigentlich schon längst durch die Errichtung | |
des Ufo-artigen Gebäudes hätte eingeleitet werden sollen. Das aber steht | |
leer und verwittert. | |
[1][Tekla Aslanishvili] ist eine kluge Beobachterin. Ihre Bilder sprechen | |
für sich und erzählen von dem Versuch [2][Georgiens], seine geografische | |
Lage für einen wirtschaftlichen Aufschwung zu nutzen und als | |
Handelskorridor zwischen Asien und Europa ausländische Investoren | |
anzulocken. Darum soll da, wo bis in die 2010er Jahre nur ein kleines | |
Fischerdorf am Schwarzen Meer war, die Planstadt Anaklia entstehen. | |
Wunschdenken und Realität klaffen sehr weit auseinander im Jahr 2020, und | |
so haftet den Bildern, die die Videokünstlerin vorfindet, fast immer etwas | |
Surreales an. Vom Inhalt her sind ihre Filme Dokus, die Ästhetik aber ist | |
eine künstlerische. Ihr Blick ruht und macht die Aufnahmen zu bewegten | |
Gemälden. Ihre epischen Einstellungen lassen sogar zu, dass der Blick des | |
Zuschauenden sich ins Detail vertieft und das Ohr den leicht verstörenden | |
Klangteppich bewusst aufnimmt. | |
Neben dem 30-Minüter „Scenes from Trial und Error“ zeigt die Berlinische | |
Galerie „A State in a State“ aus dem Jahr 2022. Eine immer wiederkehrende | |
Einstellung ist der Blick der Künstlerin aus ihrer Tifliser Wohnung auf die | |
Bahngleise. Davon ausgehend fächert sie die Geschichte der Bahnstrecke | |
Baku–Tiflis–Kars auf. Gebaut im späten 19. Jahrhundert, um wichtige Zentren | |
im äußersten Süden des russischen Zarenreichs zu verbinden, endet die | |
Strecke aufgrund der geopolitischen Umwälzungen nach dem Ersten Weltkrieg | |
auf türkischen Boden. Bis in die frühen 1990er wird die Strecke, die Tiflis | |
über Armenien mit dem türkischen Kars verbindet, befahren. Aufgrund der | |
kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Aserbaidschan und Armenien nach | |
dem Zusammenbruch der UdSSR schließt die Türkei, die sich auf die Seite | |
Aserbaidschans schlägt, die Grenze zu Armenien. Inzwischen wurde eine neue | |
Strecke von Tiflis nach Kars, die Armenien umfährt und das Land somit vom | |
internationalen Güterverkehr isoliert, fertiggestellt. Aslanishvili hat | |
zusammen mit Journalist:innen zu Hintergründen und Begleiterscheinungen | |
dieser Entwicklung recherchiert. Immer wieder trifft sie auf resiliente | |
Eisenbahner, die von gelebter grenzübergreifender Solidarität unter | |
Eisenbahnern berichten. Einer erinnert sich daran, wie er mit dem | |
türkischen Kollegen in Kars immer einen Tee getrunken hat und der auf | |
einmal keine Züge mehr über die Grenze fahren lassen durfte. Die | |
resilientesten Eisenbahner gab es 2022 in Belarus. So berichtet ein | |
ukrainischer Eisenbahner dankbar, dass die belarussischen Kollegen nach | |
Kriegsbeginn die Gleise von Belarus in die Ukraine so manipuliert haben, | |
dass sie für Truppentransporte nicht benutzt werden konnten. | |
Aslanishvili, die in Tiflis und Berlin lebt, legt den Originalton der | |
Interviews oft über weite Landschaftsbilder. Versteckt sind hier die | |
Gleise. Schafe weiden auf den Hügeln. Und in Achalkalaki, auf halber | |
Strecke zwischen Tiflis und Kars, steht ein nagelneuer Bahnhof einsam auf | |
weiter Flur. Ob hier jemals der Personenverkehr aufgenommen wird? Es steht | |
in den Sternen. | |
Tekla Aslanishvili, Berlinische Galerie, bis 17. Juni | |
6 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
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