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# taz.de -- French Open 2024: Eine eitle Art, sich zu amüsieren
> Mit Pfeifkonzerten und Beschimpfungen sorgt das Pariser Publikum bei den
> French Open immer wieder für Eklats. Dieses Jahr flog sogar ein Kaugummi.
Bild: Französische Fans beim Erstrundenmatch zwischen dem Franzosen Humbert un…
Das bisschen Schadenfreude konnte sich der belgische [1][Tennis]-Veteran
partout nicht verkneifen. Stundenlang war David Goffin bei seinem
Fünf-Satz-Marathon gegen den französischen Lokalmatador Giovanni Mpethshi
Perricard beschimpft, ausgebuht und ausgepfiffen worden. Sogar ein Kaugummi
hatte ein Rowdy von den Zuschauerrängen in seine Richtung gespuckt. Dann,
im Augenblick des Erstrunden-Triumphs bei den French Open 2024, hielt sich
der 33-jährige Flame die Hand ans Ohr und ließ genüsslich das schrille,
finale Pfeifkonzert über sich ergehen, mit einem breiten Grinsen im
Gesicht: „Irgendwie musste ich es ihnen heimzahlen. Das war die totale
Respektlosigkeit, diese pausenlose Beleidigungsarie.“ Es gebe Leute hier,
so Goffin, die „nur kommen, um Unruhe zu stiften.“
Einmal im Jahr kommt die Welt für Grand-Slam-Tennis nach Paris. Aber
bedingungslos freundliche Gastgeber sind die französischen Fans ganz und
gar nicht, schon seit vielen Jahren wird auf den Rängen des Stadionreiches
Roland Garros vor allem ein hemmungsloser Chauvinismus ausgelebt. Zuerst
kommt die frenetische Unterstützung für die vielen Spieler des gallischen
Verbandes FFT (Fédération Française de Tennis), dann lange nichts – und
dann Rückenwind für ein paar auswärtige Publikumsfavoriten.
Die allerdings in ihrer Karriere auch erst einmal den verqueren
Patriotismus der Pariser durchleiden mussten, bevor sie spät, als Stars mit
gebrochener Biografie, Applaus und Zuneigung bekamen. [2][Rafael Nadal
gehört zu ihnen], Roger Federer auch. Oder vor Jahrzehnten Steffi Graf oder
Andre Agassi. Boris Becker grantelte mehr als einmal während seiner
French-Open-Abenteuer über das „unfairste Publikum, das man sich nur
vorstellen kann“. Er habe allerdings auch Energie daraus gezogen: „Ich
genoss manchmal die Rolle allein gegen alle.“
Toni Nadal, [3][Onkel und Trainer des Rekordchampions], lästerte einst über
die French-Open-Fanmeute, es gebe nur eine Art von Zuschauern, „die
schlimmer sind als der Franzose, und das sind die Pariser. Sie wollen, dass
jemand verliert, und das ist eine eitle Art, sich zu amüsieren.“ Lange vor
den Kalamitäten um den Mallorquiner hatte sich das Drama um Martina Hingis
im denkwürdigen Damenfinale des Jahres 1999 ins kollektive
Tennis-Gedächtnis eingebrannt, mit den Fans in einer Hauptrolle neben den
Spielerinnen Hingis und Graf. Die Schweizerin, die sich gleich mehrere
Blackouts leistete, wurde daraufhin gnadenlos niedergebrüllt und verhöhnt,
stand am Rande eines Nervenzusammenbruchs – es wirkte mitunter wie eine
mittelalterliche Prangerszene.
## Auch Franzosen geraten mal in Fadenkreuz
Genügen die eigenen Größen nicht den hohen Ansprüchen der Parisiennes,
können sie mitunter selbst ins Fadenkreuz geraten. Selbst dem später
vergötterten Spaßmacher Henri Leconte verging das Lachen, als er 1988 sang-
und klanglos das Finale gegen den überlegenen Schweden Mats Wilander
verlor. „Es war die absolute Katastrophe, der totale Horror“, erinnerte
sich Leconte unlängst, „ich war nahe dran, vom Platz zu flüchten.“
Doch fast immer richtet sich die Aversion und Ablehnung gegen jeden Akteur,
der gegen eine Französin oder einen Franzosen anzutreten hat – selbst der
Schweizer Stan Wawrinka, ein frankophiler Profi aus der Romandie, wurde
2015 im Halbfinale gegen Jo-Wilfried Tsonga mit Pfiffen und Schmähungen
abgekanzelt. „Extrem einschüchternd“ seien die Aktionen der Fans, so
Amerikas Ex-Größe John McEnroe: „Das ist vor allem für junge Spieler ein
Spießrutenlaufen.“
Eine kaum fassbare Schiedsrichterentscheidung im laufenden Wettbewerb hatte
auch mit dem zuweilen aggressiven Fantrupp zu tun. Als der Franzose Terence
Atmane in der Erstrundenpartie gegen den Österreicher Sebastian Ofener
wütend einen Ball auf die Ränge schoss und dabei eine ältere Dame traf,
bedrängten andere Zuschauer das Opfer. Die Frau solle erklären, dass ihr
nichts Gravierendes passiert sei – und tatsächlich: Der Unparteiische
sprach nicht die einzig ordnungsgemäße Strafe aus: eine Disqualifikation.
Sondern nur eine Verwarnung. Eine Lex Les Bleus, unter sanftem Nachhelfen
der Einheimischen.
US-Star Taylor Fritz hatte im Vorjahr ähnlich reagiert wie aktuell Kollege
Goffin. Fritz hatte damals im Duell mit dem Franzosen Arthur Rinderknech
einen Albtraum von Beschimpfung und Ablehnung durchgemacht und nach dem
eigenen Sieg dann die Finger auf die Lippen gelegt. „Ich liebe euch. Ich
liebe euch“, sagte er anschließend beim kurzen Interview mit der früheren
Wimbledonsiegerin Marion Bartoli, „sie haben mich so angetrieben, dass ich
sicherstellen wollte, dass ich gewinne.“ Danach war der Aufruhr so groß,
dass das Interview abgebrochen werden musste.
Selbst die stets wohlwollende, ausgleichende Tunesierin Ons Jabeur beklagte
sich jetzt über die Atmosphäre im Sandkasten von Roland Garros: „Die Leute
sind darauf aus, dass ich einen Fehler mache, den Ball verschlage. Das wird
gefeiert. Aber das ist etwas, was ich nicht mag. Und was nicht hierher
gehört.“
30 May 2024
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## AUTOREN
Jörg Allmeroth
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