# taz.de -- taz🐾thema: Menschen und Landschaften | |
> Was uns im Kunstsommer erwartet: Holländische Porträtmalerei, Berlin im | |
> Zeitraffer, Jubiläen, ein verschwundener Palast und visueller Aktionismus | |
Von Jana Janika Bach | |
Solch einen Streich kann sich bloß die Geschichte erlauben: Von 1968 bis | |
1985 zierte Frans Hals’Antlitz eine der niederländischen Banknoten. Lange | |
litt der Maler, der heute in einem Atemzug mit Rembrandt oder Vermeer | |
genannt wird, unter Geldnot. An Aufträgen oder Bewunderern mangelte es Hals | |
indes nicht. Meisterlich schuf er Bildnisse des Haarlemer gut situierten | |
Bürgertums. Von Tuchhändlern, Bierbrauern oder Bürgermeistern, die | |
vierhundert Jahre danach quicklebendig scheinen. Funfact: Dank Hals zog das | |
bis dato als unfein geächtete Lachen in die Porträtmalerei ein. Dies, sein | |
freier Stil und ungestümer Pinselstrich, mit dem er zudem sozial | |
Marginalisierte abbildete, imponierte Max Liebermann oder Van Gogh | |
gleichermaßen. | |
Nach der Londoner National Gallery und dem Rijksmuseum Amsterdam ist die | |
Kooperationsschau nun in der Berliner Gemäldegalerie zu sehen – darunter | |
Hochkarätiges aus der eigenen Sammlung, „Der singende Knabe“, oder | |
hierzulande nie zuvor Ausgestelltes, wie das vier Meter breite | |
Schützenstück „De magere compagnie“. | |
Schützen oder Speere sind nicht in Sicht, doch gleicht das Berliner | |
Humboldt Forum im Stadtschloss-Nachbau einer hart umkämpften Festung. Von | |
Beginn stand es in der Kritik und die Debatten gehen weiter, um Raubkunst, | |
Preußen-Nostalgie oder die Propheten-Statuen. Eine Sonderausstellung rückt | |
jetzt eben hier die eigene Existenz und Vorgeschichte des Hauses in den | |
Fokus. Thematisiert wird der Elefant im Raum, etwa warum der Palast der | |
Republik abgerissen und an dessen Stelle das Humboldt Forum in seiner | |
heutigen Gestalt errichtet wurde. | |
Vor allem Audio- und Videointerviews mit Zeitzeugen, die der | |
Ostkreuz-Fotograf Tobias Kruse porträtiert hat, sollen die ambivalente | |
Geschichte erlebbar machen. Aufgezeigt werden diverse Nutzungen des | |
Gebäudes – als DDR-Kultur-Mehrzweckgebäude oder als Sitz der ersten frei | |
gewählten Volkskammer – anhand von Entwürfen, Ausstattungs- oder | |
Kunstobjekten. Zu begutachten sind zum Beispiel das Gemälde „Die Rote | |
Fahne“ des DDR-„Staatsmalers“ Willi Sitte oder Fragmente der „Gläsernen | |
Blume“, eine fünf Tonnen schwere Skulptur, die für den Empfangsraum des | |
Palastes der Republik gefertigt wurde. | |
„Berlin, Berlin“ als Freudenausruf – mit diesem Titel lädt die Helmut | |
Newton Stiftung dazu ein, ihren Namensgeber, seine Heimatstadt und sich zum | |
20-jährigen Bestehen zu feiern. Dabei war Newtons Verhältnis zu ihr ein | |
zwiespältiges; 1938 flüchtete er vom Bahnhof Zoo aus vor den Nazis. Ab Juni | |
lässt sich unweit besagter Bahnstation durch Newtons Linse und die anderer | |
Fotografenikonen Berlin wie im Zeitraffer betrachten. Obendrein wird | |
Newtons Vermächtnis neu kontextualisiert, seine zwischen den 1930er- und | |
nuller Jahren entstandenen Arbeiten, etwa mit Bildjournalistischem von | |
Barbara Klemm oder Vintage Prints von Yva. | |
Zwar wartet 2024 zur warmen Jahreszeit mit einer Vielzahl an Jubiläen und | |
großen Sonderschauen auf. So würdigt das Frankfurter Städel Museum | |
umfassend Malerinnen, Bildhauerinnen und Agentinnen, die den Kunstbetrieb | |
um 1900 prägten, indem sie ein internationales Netzwerk knüpften und sich | |
unterstützten. | |
Währenddessen wagt Anne Imhof im Kunsthaus Bregenz eine „persönliche | |
Bestandsaufnahme“. Über vier Etagen soll sich „Wish You Were Gay“ | |
erstrecken und sich, ganz ohne Performances, um Imhofs wilde Vergangenheit | |
drehen. In Leipzig wiederum begeht das Grassi-Museum seine Festlichkeiten | |
zur Gründung vor 150 Jahren. Insgesamt allerdings steht der Kunstsommer | |
weiterhin im Zeichen Caspar David Friedrichs und seines 250. Geburtstages. | |
Nach „Unendliche Landschaften“ in der Alten Nationalgalerie in Berlin | |
folgen Einzel-Präsentationen im Dresdner Albertinum und | |
Kupferstich-Kabinett. Friedrichs Ruhm begründete sich in der deutschen | |
Hauptstadt, jedoch erkor er sich Dresden zum Lebensmittelpunkt, hier | |
entstanden viele seiner Hauptwerke. „Wo alles begann“ ordnet Friedrichs | |
Kunst im Arrangement mit Gemälden von Salvator Rosa oder Claude Lorrain in | |
ein Ganzes ein. Im Residenzschloss hingegen geben Zeichnungen, auf | |
Wanderungen oder Reisen etwa ins Riesengebirge skizziert, Einblicke in | |
Friedrichs Gemütslage und künstlerischen Prozess. | |
Die Landschaft könne warten, sie habe eine Ewigkeit vor sich, befand Henri | |
Cartier-Bresson, dessen Initialen „HCB“ zum Synonym für sein Jahrzehnte | |
umspannendes Œuvre zwischen Fotojournalismus und Kunstfotografie wurden. Es | |
waren die Menschen und der „entscheidende Augenblick“, für den sich der | |
Ausnahmefotograf interessierte. Ob er im Spanischen Bürgerkrieg, die | |
Beisetzung Mahatma Gandhis, im geteilten Berlin, auf Kuba oder enge | |
Freunde, Henri Matisse und Alberto Giacometti, fotografierte. Malerei hatte | |
er als junger Mann studiert, statt sich in ihr zu vertiefen, schuf er | |
legendäre Künstlerporträts, die seinen Ruf als Weltbester festigten. | |
„Auge des Jahrhunderts“ nannte man ihn und sein Buch „The Decisive Moment… | |
Bibel. Ein jeder Fotograf sollte sie gelesen haben, so sein Kollege Robert | |
Capa, mit dem er die Agentur Magnum gründete. Als Cartier-Bresson im Alter | |
von 95 Jahren starb, lebte er bereits zurückgezogen. Mit der größten | |
Retrospektive in Deutschland seit zwei Dekaden ehrt das Bucerius Kunst | |
Forum in Hamburg Cartier-Bresson, allein rund 230 Originalabzüge wurden | |
zusammengetragen. Frühes Surrealistisches, Alltägliches sowie seine | |
Porträts von Coco Chanel und Simone de Beauvoir, manche anrührend, andere | |
witzig, sind darunter. Emotion finde er nur im Schwarz-Weiß, betonte | |
Cartier-Bresson. | |
Magisch, meist ohne Farbe, wirken Zanele Muholis Fotos. Sie gehören zum | |
Eindrücklichsten gegenwärtiger Porträtkunst. Vor monochromem Hintergrund | |
entfalten sie ihre Wucht. Ihr Werk, das sie als „visuellen Aktivismus“ | |
versteht, gibt jenen ein Gesicht, die sich außerhalb des | |
cisheteronormativen Spektrums identifizieren. 1972 in Südafrika geboren, | |
wuchs Muholi während der Apartheid auf. Weit nach ihrem Ende erfährt die | |
südafrikanische LGBTQIA+-Community, deren Teil Muholi ist, Hass und | |
Verfolgung. | |
Standhaft geben die Abgelichteten in „Faces and Phases“, einer seit 2006 | |
auf über 500 Porträts angewachsenen Serie, den Blick zurück. Dass nicht | |
wenige von ihnen ermordet wurden, führt vor Augen, was der Schritt vor die | |
Kamera bedeutet. Muholis Bilderarchive belegen ihren Mut und ihre | |
Widerständigkeit – und schließen einen spielerischen Umgang mit gängigen | |
Stereotypen, etwa in „Brave Beauties“, mit ein. Neben diesen, für Muholis | |
Werk zentralen Bild-Zyklen, zeigt die Londoner Tate Modern neue und weniger | |
bekannte Arbeiten. | |
Auch abseits der imposanten Schauen lohnt es, sich umzutun. Bestes | |
Beispiel: Wie die Berliner Neue Nationalgalerie und ihre | |
Must-See-Ausstellung, die Andy Warhols Schönheitsideal umkreist, verspricht | |
das Museum Fotografiska, ebenfalls in Berlin, mit „After the Party“ und | |
intimen Aufnahmen eine unbekannte Seite des gut ausgeleuchteten Künstlers | |
offenzulegen. | |
Derweil hat in Dresden das Archiv der Avantgarden – Egidio Marzona seinen | |
Umzug in das umgebaute Blockhaus komplementiert. Der Name ist Programm: | |
Untergebracht sind Werke der Pop-Art, des Surrealismus, von Fluxus und Co. | |
Das stiftungsfinanzierte Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden indes, dessen | |
Eröffnung für Juni anberaumt wurde, offeriert ausschließlich abstrakte | |
Kunst. | |
Und wen es in den Ferien glücklicherweise in die Provence verschlägt, dem | |
sei ein Abstecher ins ehemalige Adelspalais Hôtel de Caumont in | |
Südfrankreich empfohlen. Dort wird derzeit Malerei von Pierre Bonnard | |
stimmig mit japanischen Drucken kombiniert. Der Sommer kann kommen. | |
25 May 2024 | |
## AUTOREN | |
Jana Janika Bach | |
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