# taz.de -- „Ich glaube, dass wir gegen den Rechtsruck noch etwas bewegen kö… | |
> Marius, 20 Jahre, aus Anklam in Mecklenburg-Vorpommern | |
Bild: Marius engagiert sich in seinem Heimatort für ein tolerantes Miteinander… | |
Geboren und aufgewachsen bin ich in Anklam und wohne hier auch jetzt noch. | |
Das Leben in so einer Kleinstadt bedeutet, dass um Punkt neun die | |
Bürgersteige hochgeklappt werden. In der gesamten Stadt ist dann | |
Feierabend. Es gab mal einen Jugendclub, der wurde abgerissen. Eine | |
Cocktailbar gibt es schon ewig nicht mehr. So findet vieles im Privaten | |
statt. Ich würde das aber nicht als etwas grundsätzlich Negatives abtun. Es | |
kann Freundeskreise auch enger zusammenschweißen. | |
Viele Freunde von mir sind nach der Schule nach Greifswald oder Berlin | |
gezogen. Ich aber fühle mich in der Großstadt nicht wohl. Es sind zu viele | |
Menschen, es passiert viel zu viel auf einmal. Momentan mache ich einen | |
Bundesfreiwilligendienst im Rettungsdienst und suche einen Ausbildungsplatz | |
zum Notfallsanitäter. Ich mag es, dass man in diesem Beruf in so kurzer | |
Zeit auf so viele verschiedene Menschen trifft und ihnen direkt helfen | |
kann. | |
Letztes Jahr habe ich mein Abitur gemacht und habe seitdem mehr Zeit für | |
mein Ehrenamt. Ich engagiere mich seit drei Jahren bei der Hundestaffel des | |
Deutschen Roten Kreuzes. Die wird eingesetzt, wenn jemand als vermisst | |
gemeldet wird. Manchmal haben sich diese Menschen suizidiert oder sind | |
ermordet worden. Es sind harte Schicksale, denen man da begegnet, deshalb | |
prägen mich diese Einsätze sehr. Wenn wir eine demente Frau, die von ihrem | |
Wohnort weggelaufen ist, wiederfinden und zu ihrer Familie zurückbringen, | |
ist das das schönste Gefühl. Ich habe durch diese Arbeit gelernt, mein | |
Leben mehr wertzuschätzen. | |
2018 bin ich über einen Freund zum Jugendparlament gekommen und gestalte | |
Kommunalpolitik mit. Seither weiß ich, dass man für politische | |
Veränderungen kämpfen muss. Und egal wie klein sie sind, oft lohnt es sich. | |
Im selben Jahr bin ich durch einen Upcycling-Workshop auf das | |
Jugendzentrum „Demokratiebahnhof“ gestoßen. Weil ich’s so schön mit den | |
Leuten fand, bin ich wieder hingegangen. Mittlerweile bin ich Vorsitzender | |
des Jugendclubs, wo wir unter dem Motto „Bunt statt braun“ Projekte und | |
Veranstaltungen organisieren. Leider ist das alte Backsteingebäude des | |
Demokratiebahnhofs aktuell wegen seines schlechten Zustands geschlossen. | |
Ich wünsche mir, dass Menschen nicht immer nur den Fokus aufs Negative | |
richten, sondern auch mal ihre Privilegien checken. Ich frage mich | |
manchmal, über was für Probleme wir hier eigentlich sprechen. Menschen in | |
Deutschland haben alles. Die meisten haben keine Kriegserfahrung, reichlich | |
Essen, Strom, fließend Wasser, Internet, genug Geld, um in den Urlaub zu | |
fahren. Wir sind nun mal im Umbruch, das ist die ganze Welt. Man kann gern | |
irgendwo hin auswandern, da wird es aber nicht anders sein. Die Menschen | |
stellen sich ihrer Verantwortung für gesellschaftliche Veränderungen nicht, | |
sondern schieben sie weg. Das soll jetzt gar nicht so mindsetcoach-mäßig | |
klingen, aber ich finde, wir sollten mehr wertschätzen, was wir haben. | |
Der Rechtsruck in Deutschland beschäftigt mich sehr. Aber ich bin | |
zuversichtlich, dass wir dagegen noch etwas bewegen können. Ich erlebe | |
immer wieder Leute, die Bock haben, was zu reißen. Wir haben hier Ende | |
letzten Jahres zur kommenden Kommunalwahl am 9. Juni das Wählerbündnis | |
gegründet, das die Linke, SPD und Mitglieder ohne Parteizugehörigkeit | |
verbindet. Aktuell arbeiten wir an der Kampagne. Obwohl es sich oft so | |
anfühlt, als sei es schon fast zu spät dafür, das Ruder noch mal | |
rumzureißen, wuppt doch jeder irgendwie seinen Teil, um den Leuten gute | |
alternative Ideen anzubieten. | |
Die Kraft der Gemeinschaft motiviert mich, und doch macht mir die | |
politische Entwicklung in Deutschland Angst. Angst, dass wir an einen Punkt | |
kommen, an dem man den eigenen Nachbarn nicht mehr in die Augen gucken | |
kann, weil die politischen Ansichten zu sehr auseinanderdriften. Ich | |
glaube, wir müssen auch lernen, für das Gemeinwohl und den | |
gesellschaftlichen Zusammenhalt so manche eigene Forderung etwas | |
zurückzustellen, damit ein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann. Zum | |
Beispiel beim Gendern. Obwohl ich ein großer Verfechter vom Gendern bin, | |
verstehe ich auch diejenigen, die es nicht okay finden, wenn einem an der | |
Uni das Nichtgendern rot angestrichen wird. Zumal es genug Menschen gibt, | |
die schon mit dem einfachem Satzbau Probleme haben. Dass für sie Sprache | |
durch Gendern nicht einfacher wird, verstehe ich. | |
Protokoll: Maria Disman | |
11 May 2024 | |
## AUTOREN | |
Maria Disman | |
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