# taz.de -- Nadine Conti Provinzhauptstadt: Detlef und der Arbeitsmarkt | |
Ach ja, mal wieder schön nach unten treten, dachte ich noch, als der | |
frühverrentete Nachbar zur Schimpftirade auf dieses Bürgergeld anhob. „Hier | |
arbeitet bald keiner mehr. Fordern und fördern, kannste alles vergessen.“ | |
Ich versuchte, an ihm und seinem greisen Hund vorbeizukommen, ohne mich auf | |
diese Diskussion einzulassen und kam mir feige vor. | |
Ich musste an Detlef denken. Den habe ich vor mehr als 20 Jahren in einem | |
dieser Arbeitsprojekte für Langzeitarbeitslose getroffen, die damals auf | |
der Kippe standen, weil ihnen im Zuge der Hartz-IV-Reformen die Gelder | |
gestrichen wurden. Natürlich tönte Detlef rum, er wolle ja eigentlich gar | |
nicht arbeiten, er wäre doch nicht blöd. Wenn ihm länger zuhörte, stellte | |
man fest: Er hat das schon versucht, mit dem Arbeiten. Aber immer war da | |
irgendwas, die Arbeitsanweisungen unverständlich, die Anforderungen zu | |
hoch, die Kollegen gemein, der Chef ein Arschloch. | |
Die Wahrheit, meinte der zuständige Sozialarbeiter, war eben, dass der | |
Detlef für den ersten Arbeitsmarkt nicht so richtig taugte. Ein geradezu | |
klassischer Fall: Verkorkste Kindheit mit Heimaufenthalten, vermurkste | |
Schulkarriere, Hilfsarbeiten, Suff. Detlef kam nicht mit und das machte den | |
Umgang mit ihm nicht angenehmer. Natürlich sagte er lieber „ich will halt | |
nicht“ als „ich kann halt nix“. Der konnte schon was, wenn man ihm die | |
nötige Zeit ließ. In diesem Projekt traf er zum ersten Mal auf einen | |
Sozialarbeiter, der zu ihm durchdrang. Wenn der Ulli zu ihm sagte: „Lass | |
mich nicht hängen, ich verlasse mich auf dich“, stand Detlef Gewehr bei | |
Fuß, obwohl er sonst nie pünktlich war. In meinen Ohren klang dieser Ulli | |
zwar wie einer, der Pädagogik bei der Bundeswehr studiert hatte, aber für | |
Detlef war er die Art von Coach, die er brauchte. Er lernte auch, Dinge | |
nicht so persönlich zu nehmen, mit den – nicht minder schwierigen Kollegen | |
– klarzukommen, rechtzeitig und klar zu kommunizieren. | |
Und nach einem halben Jahr wollte der Detlef irgendwie vielleicht doch | |
arbeiten. Weil man sich halt besser fühlt. „Und immer nur rumhängen ist ja | |
auch nix.“ Er hatte etwas begriffen, was in den Argumentationsketten der | |
Merz-CDU meist gar nicht vorkommt: Dass es neben dem Zwang zum | |
Geldverdienen andere Gründe gibt, aus denen Menschen arbeiten gehen. Weil | |
sie sich nützlich fühlen wollen, zum Beispiel, oder dazu gehörig oder weil | |
es Kollegen gibt, die man nicht hängen lassen will. | |
Ob es für Detlef geklappt hat, mit dem ersten Arbeitsmarkt, weiß ich nicht. | |
Vielleicht musste er auch zurück zum Jobcenter, über das er sich gern | |
beklagte. Man hatte die Sachbearbeiter zwar einige Zeit zuvor in | |
„Persönliche Ansprechpartner (PAP)“ umbenannt, aber aus Detlefs Sicht | |
bestand die persönliche Ansprache vor allem darin, ihm Zettel in die Hand | |
zu drücken und ihn irgendwo anders hinzuschicken. Zur Suchtberatung, zur | |
Schuldnerberatung, zum Bewerbungstraining, zu dieser oder jener Maßnahme. | |
„Fordern und Fördern“, schnaubte er damals schon, „kannste vergessen“. | |
14 May 2024 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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