# taz.de -- Dynamische Gene | |
> Pilze können Ameisen töten. Dafür brauchen sie ein Chromosom, das nicht | |
> vererbt wird, sondern zwischen Pilzen derselben Generation kursiert. Das | |
> hat der Kieler Forscher Michael Habig jetzt nachgewiesen | |
Bild: Durch Pilze getötet und für andere eine Gefahr: Aus der Gartenameise (o… | |
Von Harff-Peter Schönherr | |
„In der Natur ist ein ewiges Auf und Ab von Nützlingen und Schädlingen“, | |
hat Goethe geschrieben, der oft mehr mit Zoologie und Botanik befasst war | |
als mit Literatur. „Lasst sie nur alle, dann frisst das eine das andere | |
auf.“ | |
Schädling: ein Wort, das nach Überflüssigkeit klingt, nach einer Gefahr, | |
die es zu bekämpfen gilt. Nützling: ein Wort, das nach Schutzwürdigkeit | |
klingt, nach wirtschaftlichem Ertrag, der verteidigt werden muss und darf, | |
notfalls mit todbringenden Mitteln. | |
Auch das Kiel Evolution Center (KEC) der Christian-Albrechts-Universität zu | |
Kiel (CAU) beschäftigt sich mit dieser Unterscheidung. Die Studie „Frequent | |
horizontal chromosome transfer between asexual fungal insect pathogens“ | |
(Wie Pilze ihre Fähigkeit zur Infektion von Insekten verbessern), Anfang | |
März 2024 erschienen in „Proceedings of the National Academy of Sciences“, | |
Washington, D. C., USA, zeugt davon. | |
Es geht darin um die Frage, wie Pilze ihre Fähigkeit zur Infektion von | |
Insekten verbessern, genauer: um Pilze der Gattung Metarhizium, die | |
Insekten infizieren und töten können, indem sie sich durch deren | |
Chitin-Exoskelett bohren. Aus den toten Körpern wachsen dann neue | |
infektiöse Sporenpakete heraus. Der Pilz sei „für den biologischen | |
Pflanzenschutz wichtig“, betont die CAU. Er eigne sich, „Kulturpflanzen vor | |
Schädlingen zu schützen“. | |
Das Infektionsobjekt war die Argentinische Ameise. Genome von Stämmen der | |
Metarhizium robertsii und Metarhizium brunneum, mit denen Versuchstiere | |
infiziert worden waren, wurden analysiert, mit ihren Sporen weitere Ameisen | |
infiziert, in zehn Zyklen. Das Resultat: Oft fand zwischen zwei Stämmen der | |
Austausch eines einzelnen Chromosoms statt, horizontal. Die Vermutung: Das | |
Chromosom enthält Gene, die dem Pilz den Befall erleichtern. Pilze, die das | |
Chromosom enthalten, verdrängen Pilze, denen es fehlt. | |
Horizontal heißt: Das Erbgut wird nicht vertikal weitergegeben, von Eltern | |
an die nächste Generation, sondern zwischen Individuen der gleichen | |
Generation, asexuell. „Etwas Derartiges ist bisher nur sehr selten | |
beobachtet worden“, sagt Pilzgenetiker Michael Habig der taz, der Erstautor | |
der in Kooperation mit dem Institute of Science and Technology Austria | |
entstandenen Studie. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kiel | |
Evolution Center der CAU. | |
Habig geht es nicht um die Anwendbarkeit, etwa in der Landwirtschaft. Er | |
betreibt vielmehr Grundlagenforschung zum Transfer von Erbinformationen. | |
„Unsere Arbeit zielt nicht auf Tötung, auf Bekämpfung, auf einen möglichen | |
Einsatz im Pflanzenschutz, gegen Fressfeinde“, sagt er der taz. „Von | |
solchen Fragen mache ich mich als Wissenschaftler frei.“ Dass | |
Grundlagenforschung oft kein reines L’art pour l’art bleibt, dass sie oft | |
Umsetzungsfolgen hat, oft Begehrlichkeiten weckt, nicht zuletzt | |
wirtschaftliche, weiß er natürlich. „Aber meine Arbeit berührt das nicht�… | |
sagt er. | |
Habig beobachtet „Vorgänge, die in der Natur alltäglich sind“: „Organis… | |
nutzen und töten andere Organismen“, sagt er, „und einige der giftigsten | |
Giftstoffe der Welt sind biologischer Natur.“ Der Pilz, schon lange vor dem | |
Menschen existent und weltweit verbreitet, ist also letztlich nur ein | |
Beispiel wie auch die Ameise. Zudem findet das Infektionsgeschehen zwischen | |
beiden auch ohne den Menschen statt, auch außerhalb des Labors. Ohnehin: | |
Begriffe wie Schädling oder Nützling seien „aus rein wissenschaftlicher | |
Sicht unangebracht“, betont Habig. | |
Die Arbeit an den Metarhizium-Pilzen ist für Habig mit dem erwähnten | |
Projekt nicht beendet. Er wird weiterforschen an der „dynamischen Natur der | |
Gene“: „Oft denkt man ja, das Erbgut ist sehr stabil, sehr stagnant, aber | |
das ist falsch.“ Es sei „sehr cool, sehr befriedigend“, an diesem Neuland | |
zu arbeiten. „Dafür bin ich Wissenschaftler geworden!“ | |
Es gilt jetzt, die Funktionen Hunderter Gene des Chromosoms zu | |
entschlüsseln. Es gilt, die Wechselwirkung der genetischen Veränderungen zu | |
untersuchen, mit denen Infizierender und Infizierter aufeinander reagieren, | |
ihre Offensiv- und Defensivkraft anpassen und optimieren. Der Kontakt zum | |
Institute of Science and Technology Austria bleibt dafür aktiv. | |
Habig plant, zukünftig mit In-vitro-Experimenten zu arbeiten, keine | |
Insekten mehr zu halten und zu töten. Um sein bisher nur zwei Personen | |
großes Team erweitern zu können, hofft er auf Gelder der Deutschen | |
Forschungsgemeinschaft und der Europäischen Kommission. Auch an den | |
dänischen Novo Nordisk Fonds hat er sich gewandt, eine der mittelstärksten | |
Stiftungen der Welt, fokussiert nicht zuletzt auf medizinische Forschung – | |
ein weiteres Praxisfeld, auf dem das neue Basiswissen, das Habig generiert, | |
Anwendung finden könnte. | |
Dass die weltweit „relativ überschaubare Pilzcommunity“ ihm auf seine | |
Forschung positives Feedback gibt, freut Habig. Aber er weiß: „Wichtig ist, | |
unsere Ergebnisse auch NichtwissenschaftlerInnen zu kommunizieren.“ Gerade | |
in der Genforschung, von vielen mit Skepsis betrachtet, sei das | |
unumgänglich. | |
13 May 2024 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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