# taz.de -- Gebäude des Gefühls | |
> Häuser-Häute, bewohnbare Mäntel und trügerisch pittoreske Mini-Favelas: | |
> Mit der Ausstellung „Räume Hautnah“ zeigt die Draiflessen Collection in | |
> Mettingen bei Osnabrück ein künstlerisches Psychogramm des Wohnens und | |
> Innewohnens | |
Bild: Hinter winzigen Fenstern flimmern winzige TV-News-Katastrophenbilder: „… | |
Von Harff-Peter Schönherr | |
Der erste Blick in eine Ausstellung ist oft der entscheidende. Im Idealfall | |
entwickelt sich daraus ein Sog. Geschieht das aber nicht, ist alles Weitere | |
auch schon mal reine Höflichkeit. | |
Das private Kunstmuseum Draiflessen Collection in Mettingen, nicht weit von | |
Osnabrück, gleich hinter der nordrhein-westfälischen Landesgrenze, | |
konfrontiert uns derzeit mit einem Wagnis: Wer die monumentale Treppe zum | |
„Main Space“ des Ausstellungshauses erklimmt, den blockiert eine riesige | |
schwebende Wand, die wirkt wie Haut. Ein starker Auftakt ist das – gerade | |
weil man nicht sieht, was folgt, ist das Verlangen umso spürbarer, das | |
Dahinter zu erforschen: die Ausstellung „Räume Hautnah“. | |
Die vermeintliche Haut ist natürlich keine: Die Schweizer Künstlerin Heidi | |
Bucher hat Wände und Böden performativ mit Fischleim und Jute überzogen, | |
mit flüssigem Latex, alles einmassiert, trocknen lassen, vollflächig | |
abgezogen. Eine zweite dieser Häute hängt an einer der Seitenwände des 900 | |
Quadratmeter großen Ausstellungsareals. Und eine dritte liegt vor unseren | |
Füßen – ein Dutzend Schritte sind es vom Anfang bis zu ihrem Ende. | |
„Räume können atmen, erzählen, Geschichten speichern“, sagt Kuratorin | |
Olesja Nein. „Sie stehen im Austausch mit ihren Bewohnern, umkleiden sie.“ | |
Einige Räume, die Neins Ausstellung nun zu einer kontrastreichen Synergie | |
verwebt, umkleiden, indem sie tatsächlich Kleidung sind: Auf den surreal | |
inszenierten, so bezaubernd wie beklemmend dystopischen Fotos der | |
US-amerikanischen Künstlerin und Umweltaktivistin Mary Mattingly tragen | |
Menschen ihre Behausungen aus- und ineinander faltbar direkt am Körper: als | |
Mäntel, Solarzellen und Hängematte inklusive. Autonomie als Folge dessen, | |
permanent fliehen zu müssen vor den Öko-Katastrophen der Zukunft. | |
Dass die „Draiflessen Collection“ künstlerische Positionen zeigt, die sich | |
dem Thema Kleidung wie auch dem der Architektur nähern, passt zu ihr: Der | |
weiße Museumsbau geht auf die Mode-Dynastie Brenninkmeijer zurück, | |
Eigentümerin von C&A. Mit seiner theatralischen Eingangsrampe und der | |
runden Fassade wirkt er im ein wenig biederen Örtchen so futuristisch-fremd | |
wie ein Raumschiff. | |
Acht künstlerische Positionen zeigt Kuratorin Nein. „Jede von ihnen ist | |
eine ganz eigene Welt.“ Den Ausstellungsraum selbst macht sie durch | |
skulpturale, schwerelos transparente Räume im Raum, zum symbolhaften | |
Kommentar seines Inhalts: Äußeres ist Inneres, und nicht jeder Raum ist, | |
was er scheint. Mattinglys Fotos sind ein Beispiel dafür: Sie sind plan, | |
aber sie hängen nun an einer gewellten Wand; inhomogene Homogenität, die | |
sich erst erschließt, wenn der Betrachter im richtigen Winkel steht. | |
Von Francesca Woodman bis Shannon Bool, Absalon bis Eileen Gray, von der | |
Modell-Installation bis zur Jacquard-Tapisserie: Die gezeigten Arbeiten | |
sind teils autobiografisch und teils historisch hinterfangen, teils riesig | |
und teils winzig klein, teils eigens für „Räume Hautnah“ erstellt und tei… | |
ein Jahrhundert alt. Eine der eindrücklichsten ist „One Thousand Shacks“ | |
von der US-Amerikanerin Tracey Snelling: eine Mixed-Media-Wand mit Video | |
und Sound. Eine 5 mal 3 Meter große, mithin monumentale Miniatur-Favela; | |
Dutzende Häuser aus Sperrholz, Wellpappe und Fundmüll, mit winzigen | |
Fenstern, hinter denen winzige TV-News-Bilder Armuts-Botschaften senden, | |
Meldungen die von Drogen handeln, von Gewalt. | |
Die pittoresk farbigen Fassaden und Beleuchtungstupfer von Eisblau bis | |
Blutrot täuschen nicht darüber hinweg, dass Menschen nicht wohnen sollten | |
wie in diesen demütigenden Elends-Verschlägen – gegen die der willentliche | |
Verzicht im luxuriösen Tiny House wie Hohn wirkt. | |
Auch der südkoreanische Künstler Do Ho Suh öffnet Augen: In „Blueprint“ | |
zeigt er uns sein Appartement in New York City – als Fassade, aus der | |
heraus ein imaginärer Sturm tobt. Nur ein Schatten ihrer selbst verbirgt | |
sich dahinter, eine ruinenhafte Welt, die an kriechende Flammen erinnert, | |
an wucherndes Wurzelwerk, auch an Haare. In ihrer Mitte, geisterhaft, ein | |
Mensch; Do Ho Suh arbeitet dafür Fäden in Baumwollpapier ein, fertigt | |
Abdrücke seiner Wohnung an. | |
Es geht darum, was Räume mit Menschen machen und Menschen aus Räumen, es | |
geht um die Gleichzeitigkeit von Geborgenheit und Beengtheit, um Nutzung | |
und Verlassen. Es geht um Gebäude aus Stein und solche der Seele, des | |
Gefühls, was manchmal dasselbe ist. „Räume Hautnah“ landet harte Treffer. | |
Der vielleicht schwerste: Anhand seiner Pläne, Algier für europäische | |
Bedürfnisse umzugestalten, überführt die Ausstellung den „Weltarchitekten�… | |
Le Corbusier spätkolonialer Arroganz. | |
Und teils wird es richtig alptraumhaft, wenn Körper zu Wohnungen werden, | |
mit Architektur verschmelzen. Nein, „Räume Hautnah“ macht keinen Spaß. Ab… | |
das ist gut so. | |
bis 4. 8., Draiflessen Collection, Mettingen; Internet: www.draiflessen.com | |
10 Jun 2024 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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