# taz.de -- Als wären sie Gemälde | |
> Im Willy-Brandt-Haus wird eine „neue Generation kubanischer | |
> Fotograf:innen“ vorgestellt. Sie erzählen in ausgefeilten Kompositionen | |
Wie wäscht man eigentlich Ballettschuhe? Das fragt man sich beim Anschauen | |
der Fotos von Daylene Rodriguez Moreno. Die Kubanerin hat ihre Tochter | |
Isabella, die an der staatlichen Ballettschule in Havanna ausgebildet wird, | |
während der Pandemie fotografisch begleitet. Isabella trainiert zu Hause. | |
Sie steht auf den Fußspitzen und lehnt an einer Wand, von der der Putz | |
längst abgeblättert ist. Die Arme hat sie eng an den Körper gepresst, denn | |
es gibt keinen Raum, um sie auszustrecken. Auf einem anderen Foto | |
schleudert sie ausgelassen die Arme mit den nassen Ballettschuhen nach oben | |
und genießt den selbst erzeugten Regenschauer. | |
Auch Leysis Quesada Vera hat Elevinnen der Ballettschule porträtiert. Im | |
Gegensatz zu Rodriguez Moreno fotografiert sie in Farbe, setzt diese | |
gezielt als Element der Bildkomposition ein und arbeitet mit Kontrasten. | |
Die Ballettschülerinnen, die alle helle Haut haben, wirken mit ihren | |
strahlend weißen Tüll-Kleidchen wie Fremdkörper in einer Umgebung, die von | |
Zerfall geprägt ist. Quesada Vera lässt sie auf der Straße und in der | |
Kneipe tanzen, bestaunt oder ignoriert von Menschen mit afrokubanischen | |
Wurzeln. | |
Im Willy-Brandt-Haus stellt die Ausstellung „Die neue Generation | |
kubanischer Fotograf:innen“ der Michael-Hornbach-Stiftung fünf | |
zeitgenössische Fotograf:innen vor. Die Aufnahmen haben starke | |
gemeinsame Nenner. So porträtieren alle fünf Menschen in ihrer Umgebung. | |
Fast alle Fotos haben eine ausgefeilte Komposition, als wären es Gemälde. | |
Und der Schatten spielt in der Bildgestaltung eine wichtige Rolle. | |
Besonders Manuel Almenares setzt ihn ein, um Formen und Blickwinkel in ein | |
visuelles Spannungsverhältnis treten zu lassen. | |
Es sind sorgfältig gesetzte Szenen, in denen etwa drei aufgeweckte Kinder | |
um die Ecke schauen, oder ein Treppenhaus im Stil der | |
Bauhaus-Fotograf:innen seine Diagonale bekommt. Alfredo Sarabia Junior | |
zeigt ein überschwemmtes Dorf und seine stoischen Einwohner:innen. Es | |
gelingt ihm, den Bildern ein poetisches Momentum zu geben. Geprägt wurden | |
er und die anderen Drei von seinem Vater, dem früh verstorbenen Grand | |
Seigneur der kubanischen Fotografie Alfredo Sarabia Senior, der auch in der | |
Ausstellung vertreten ist. Inhaltlich geben die Fotos einen wertvollen | |
Einblick in die gegenwärtige Befindlichkeit der kubanischen Gesellschaft. | |
Halten doch alle immer wieder Straßenszenen fest und kommen den Menschen | |
dabei ganz nah. Zu sehen ist auch die desolate Bausubstanz, die das | |
Stadtbild prägt. „Havanna verändert sich nicht“, kommentiert Manuel | |
Almenares die Situation: „Es wird nur immer älter.“ Frauen flechten sich | |
Rasta-Locken auf der Straße. | |
Drinnen hat immer noch jemand eine ganze Wand mit Che-Guevara- und Fidel | |
Castro-Fotos dekoriert. Und dann ist da dieses kleine Mädchen, das | |
unbedingt eine Prinzessin sein möchte. Oder Primaballerina. In Tüllkleid | |
und Plastikkrone sitzt es zusammengesunken da. Umgeben von allen möglichen | |
Abstufungen der Verwitterung. | |
Die Romantik des Morbiden wird hier aber nicht bedient, dafür ist der Blick | |
zu schonungslos. Was bleibt, ist die Empathie des Beobachters. Und eine | |
Leidenschaft fürs Ballett, die überrascht. Die Ballettschule in Havanna ist | |
die größte der Welt, erfährt man in der Ausstellung. Beide Fotografinnen | |
hätten selbst gerne dort getanzt. Nun erfüllen ihre Töchter diese Mission. | |
Ob sie diese Bürde glücklich macht? Wir wissen es nicht. Die Kinder von | |
Alfredo Sarabia Junior schauen glücklich aus. Zu viert sitzen sie unter der | |
geöffneten Motorhaube des alten Käfers, den schon ihr Opa fuhr, und lachen. | |
Katja Kollmann | |
„Die neue Generation kubanischer Fotograf:innen“, Willy-Brandt-Haus, bis 2. | |
6. | |
13 May 2024 | |
## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
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