# taz.de -- kritisch gesehen: Im Herz der Traurigkeit | |
> Mit „Hamlet“ erkundet ein multinationales Ensemble aus Prag, Odessa und | |
> Bremen den Sinn des Schauspiels in Zeiten des Kriegs | |
Bild: Effektvolle Spiegelung: Hamlet in Bremen | |
Von Benno Schirrmeister | |
Bezugspunkte, die auf völlig selbstverständliche Weise Gemeinsamkeit | |
stiften können, gibt es wenige. William Shakespeares „Hamlet“ gehört dazu: | |
Aus der Tragödie haben das Team des odessitischen Vasily-Vasilko-Theaters, | |
der Prager und der Bremer Shakespeare Company in deren Haus am Theater am | |
Leibnizplatz einen anspruchsvollen, ja mitunter fast zu anstrengenden | |
Theaterabend gemacht, der anzurühren vermag. Und nachhallt: „We Are Hamlet“ | |
heißt er. Er hatte am vergangenen Donnerstag Premiere und ist unbedingt | |
sehenswert, wird aber leider erst wieder Ende Juni und dann in Prag gezeigt | |
werden. | |
Völlig ungewiss bleibt, wann sich der Wunsch erfüllt, mit der Produktion | |
auch in die Ukraine zu gehen zu können. Auch weil Ukrainisch neben Englisch | |
die am häufigsten in der Produktion genutzte Sprache ist, hat sie mitunter | |
den Charakter von Exiltheater. Das vermag mit eher schlichten, gut | |
transportablen Mitteln eindringliche Szenen und tiefe Gefühle zu wecken: | |
Heike Neugebauer hat dafür mit Spiegelflächen die Bühne gestaltet und | |
infantile Schwerter, seltsame Brustpanzer sowie eine | |
Zirkusdirektoren-Uniform aus dem Fundus gekramt. Zugleich fordert dieses | |
Theater sich selbst und seinem Publikum eine intensive Arbeit an einer | |
Sprache ab, die fremd ist und bleibt: Das 400 Jahre alte Englisch, das so | |
seine lexikalisch-grammatikalischen Hürden hat, plus die diversen Akzente | |
und einige individuelle Sprechweisen – Polonius ist ein vernuschelter Alter | |
mit stark texanischem Zungenschlag – das alles lässt mitunter eben doch den | |
Luxus einer Obertitel-Anlage herbeisehnen. | |
## Zur Traurigkeit vorgedrungen | |
Dabei ist der Dramentext nahezu naturbelassen und die Handlung bekannt: | |
Prinz Hamlet kehrt nach dem Tod seines Vaters nach Hause zurück. Er findet | |
die Mutter verheiratet mit ihrem Schwager: Der hat sich für seinen | |
Brudermord so mit der dänischen Königskrone belohnt. Um seine Rache | |
auszuarbeiten, stellt sich Hamlet wahnsinnig, wodurch er seine Verlobte in | |
den Suizid treibt. Deren Bruder wird daraufhin die Titelfigur und Hamlet | |
fast alle anderen töten. Am Ende kommt ein Besatzer als Befreier, der ein | |
hölzernes Soldatenethos vor sich herträgt. | |
Shakespeares Text hat die Macht, Bilder und Szenen zu erzeugen, die ihn | |
verständlich machen, auch wenn kein Wort verstanden wird. Statt diese Magie | |
zu nutzen, lässt Regisseur Guy Roberts ihn oft zu sehr zelebrieren: Das | |
haut mit so einer herausragenden Sprecherin wie Jessica Boone als Hamlet | |
hin, wirkt aber schon bei seinen eigenen Auftritten als böser König | |
Claudius gestelzt und begünstigt zudem konventionelle szenische Lösungen: | |
grenzwertig sind Schwertkampf, Volkstanzeinlage und Geistererscheinung. | |
Schön hingegen wird’s, wo sich die Figuren splitten, wo Hamlets Unruhe sich | |
noch auf bis zu sieben weitere Akteur*innen verteilt und neben Englisch | |
in Deutsch und Ukrainisch – Tschechisch kommt fast gar nicht vor – | |
artikuliert. | |
Auch gut: Mit Witz buddelt sich Alina Katrechko als Totengräber durch den | |
Unterboden, während sich Vera Timofeeva als Ophelia akrobatisch im | |
Vertikaltuch emporschwingt – nur um, Schreckmoment, sich zu erdrosseln. Guy | |
Roberts hat dem Stück Carl Sandburgs Gedicht „They All Want To Play Hamlet“ | |
als auf alle Sprecher*innen verteilten Prolog vorangestellt. In diesen | |
Momenten des Umschlags dringt die Produktion jedenfalls vor zu dem, was die | |
Verse von 1920 als Kern des Dramas und Sinn der Schauspielerei ausgemacht | |
hatten: die Traurigkeit, die herzzerbrechende Traurigkeit. | |
6 May 2024 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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