# taz.de -- Stadt, Strom und unsichtbare Kunst | |
> Seit 50 Jahren gibt es das Bremer Programm „Kunst im öffentlichen Raum“. | |
> Die Filmemacherin Beatrix Schwehm stellt es nun mit fünf filmischen | |
> Miniaturen vor | |
Bild: Im Kurzfilm „Temporäre Kunst“ wird dokumentiert, wie Annette Hans mi… | |
Von Wilfried Hippen | |
In Bremen gibt es Kunst im öffentlichen Raum, die niemand sieht. Dabei | |
verteilt sie sich auf einer Länge von mehr als 25 Kilometer über das | |
gesamte Stadtgebiet. Allerdings unterirdisch: als Teil des | |
Versorgungsnetzes der Stadtwerke. 2014 schrieben Mitarbeiter*innen der | |
Stadtwerke inspirierende Worte auf Rohre und Kabel und dann verschwanden | |
die unter der Erde. Zehn Jahre später sind viele der damals Beteiligten | |
noch immer stolz darauf, dass ein kreativer Impuls von ihnen irgendwo unter | |
der Stadt ruht. | |
Das Kunstprojekt „Die Unsichtbaren Worte“ wurde von dem südkoreanischen | |
Performancekünstler Kyungwoo Chun initiiert, der damals in Bremen lebte und | |
inzwischen nach Seoul zurückgekehrt ist. In ihrem Kurzfilm „Ästhetik der | |
Absenz“ zeigt die Bremer Filmemacherin [1][Beatrix Schwehm] Kyungwoo Chun | |
nun bei einem Stadtbummel in seiner Heimatstadt. Die Rohre und Kabel aus | |
der Bremer Unterwelt werden zwar kurz in Archivaufnahmen gezeigt. Aber die | |
Worte sind nicht zu entziffern. Sie bleiben also unsichtbar. | |
Dies ist ein gutes Beispiel für die Arbeitsweise von Beatrix Schwehm: Sie | |
hat fünf Kurzfilme produziert, deren gemeinsamer Anlass ist, [2][dass 1973, | |
vor 50 Jahren also, in Bremen das Programm „Kunst im öffentlichen Raum“ | |
entwickelt] und vom Parlament beschlossen wurde. Schwehms Filme zeigen, wie | |
groß die Bandbreite der Initiative ist und wie originell einige der in | |
diesem Rahmen geschaffenen Kunstwerke sind. | |
Diese Miniaturen sind auch sehr verdichtete Porträts ihrer | |
Protagonist*innen. Die Kamera zeigt sie meist in Stadtbildern. So spaziert | |
etwa Annette Hans, die künstlerische Leiterin der Bremer Gesellschaft für | |
aktuelle Kunst an der Hochstraße in der Nähe des Bremer Hauptbahnhofs | |
entlang. Dies ist einer der Unorte Bremens, eine Sünde der Stadtplanung der | |
späten 1960er. Oder wie Hans sagt: „eine Leerstelle. Ein völlig unbesetzter | |
Raum“. | |
Diesen „besetzt“ sie nun im Film, indem sie eine der Betonstützen mit | |
Kleister anpinselt und ein Plakat anklebt. Solche Plakate sind ja auch | |
Kunst im öffentlichen Raum – genau wie Street-Art und Graffiti. Die | |
Sprühdose ist auch eher ein Arbeitsmittel des Malers Jimmi D. Paesler, der | |
in Bremen einige Wandbilder geschaffen hat. Nein, nicht Peter F. Kruegers | |
„Das Fenster“ mit dem überlebensgroßen Rentnerpaar, das seit 1976 die | |
Aussicht auf den verbauten Rembertiring genießt und eines der berühmtesten | |
Wandbilder Bremens ist. In einer frühen Schnittfassung des Fims war dieses | |
Bild zwar noch drin. Aber Schwehm hat sich entschieden, es nicht zu zeigen: | |
Es ist auch so präsent genug. | |
Paeslers Arbeiten haben mehr Biss. So hat er in einem Wohnblock im | |
Stadtteil Huchting ein Wandbild gemalt, in dem ein Fernsehgerät durch | |
fliegende Scherben aus einem Fenster geworfen wird. Paesler reflektiert | |
darüber, dass Kunst im öffentlichen Raum demokratisch,, „nicht für den | |
elitären Kunstmarkt oder die Geldwirtschaft, sondern eben für alle“ da ist. | |
Dabei stellt sich die Frage, ob alle auch solch ein Wandbild haben wollen. | |
Deshalb zeigt Schwehm in ihrem Film „Wandmalerei“ auch einen Ausschnitt aus | |
einer alten Sendung des Radio-Bremen-Regionalmagazins „Buten und Binnen“, | |
in dem Anwohner*innen auf einer Versammlung gegen ein geplantes | |
Wandbild vor ihren Fenstern protestieren – mit Erfolg übrigens. | |
Wie weit das Prinzip von Kunst im öffentlichen Raum gefasst werden kann, | |
macht der Professor an der Hochschule für Künste Bremen, Ingo Vetter, in | |
dem Kurzfilm „Bildhauerei“ klar. Er erzählt von einem seiner frühen | |
Kunstprojekte in Detroit, bei dem „unter dem großen Jubel der Anwohner“ die | |
dort wie Unkraut spießenden Götterbäume gefällt wurden. Das klingt wie ein | |
Gegenentwurf zu den 7.000 gepflanzten Eichen von Joseph Beuys in Kassel. | |
Beide Projekte verbindet, dass [3][mit Kunst ein Stadtbild grundlegend | |
verändert wurde]. | |
Beatrix Schwehm lässt Vetter auch reflektieren, ob Kunst unbedingt einen | |
Nutzen oder eine Aufgabe haben muss: „Zweckfreie Kunst wäre für mich eine | |
Forderung, die ich immer unterschreiben würde“, sagt er. | |
Die Miniatur über die Trägerin des Bremer „Rolandpreises für Kunst im | |
öffentlichen Raum 2018“, Michaela Melián, ist das eindrucksvollste Beispiel | |
für gelungene Kunst im öffentlichen Raum. Die Einweihung ihres neuen Werkes | |
fand allerdings erst kürzlich [4][statt], nach dem Ende der Dreharbeiten. | |
Das fertige Werk ist also nicht im Film zu sehen. | |
Es geht um zwei Schuppen, die Ulrichsschuppen, im ehemaligen Bremer | |
Holzhafen, in denen im Jahr 1942 Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter | |
untergebracht wurden. Heute werden hier Container gestapelt, doch ein | |
kleines Eckgrundstück konnte Michaela Melián als „Ort der Erinnerung“ | |
gestalten, so auch der Titel des Films. | |
Melián ließ die Fassade eines der Ulrichsschuppen nachbauen, kippte sie | |
aber, sodass sie am Boden liegt. Hinter dem abgezäunten Mahnmal ragen die | |
Container empor. Sie wirken wie ein riesiger Resonanzkörper für das | |
Kunstwerk, denn sie verdeutlichen eine Verbindung von Geschichte und | |
Gegenwart: So wie damals Menschen in den Lagerschuppen gesteckt wurden, | |
werden heute Flüchtlinge und Montagearbeiter in Containern untergebracht. | |
[5][Melián bringt dann noch ein Dilemma der Kunst im öffentlichen Raum auf | |
den Punkt]: „99 Prozent der Leute, die da vorbeigehen, denken nur, hier | |
stört mich was.“ | |
www.beatrix-schwehm-film.de/filme/kunst4all.html | |
29 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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