# taz.de -- das wird: „Mein Protest ist dieses Stück“ | |
> Am ersten Best-Off-Festivaltag zeigt Zufit Simon „Radical Cheerleading“ | |
Interview Harff-Peter Schönherr | |
taz: Frau Simon, sind Sie radikal? | |
Zufit Simon: Ja, in meiner künstlerischen Arbeit! Ich verfolge meine Ideen | |
sehr konsequent. Ich gebe nicht auf, bis sie erreicht sind. Ich hinterfrage | |
sie selbstverständlich und gehe an die Wurzeln. | |
Wie normabweisend und gesellschaftskritisch muss ich sein, damit „Radical | |
Cheerleading“ für mich zu einer adäquaten Ausdrucksform werden kann? | |
Man sollte nie aufhören, kritisch zu sein. Es ist wichtig, Dinge infrage zu | |
stellen, immer. Aber das muss jeder Mensch für sich selbst entscheiden: Wo | |
ist die Grenze? | |
Setze ich nicht bereits ein Statement, indem ich mich für diese sehr | |
besondere Form des Performativen entscheide? Sie versteht sich ja, in den | |
1990ern entstanden, als feministischer, linksgerichteter, genderbewusster | |
Aktivismus. | |
Absolut. Mein Stück ist ein Ausdruck dessen, was mich prägt. Es hinterfragt | |
die Gesellschaft, es hinterfragt mich selbst. Es thematisiert den | |
Frauenkörper, den Menschenkörper, das Recht aller Lebewesen auf | |
Selbstbestimmung. Nicht zuletzt wirft es einen kritischen Blick auf das | |
klischeehaft-stereotype Frauenbild des klassischen, sportlichen | |
US-Cheerleadings. Viele Aspekte spielen hier hinein: Ich als Frau, als | |
Künstlerin, als Mutter, als Israelin … | |
Ihre Choreografie, die diese Form des Aktivismus adaptiert, sogar zu ihrem | |
Titel macht, ist eine Form von Protest? | |
Auf jeden Fall! Das ist schon ein klares Statement, das Stück so zu nennen. | |
Mein Protest ist dieses Stück. | |
Ihr Ensemble skandiert „Together we fight!“ und vor allem: „Power for the | |
people!“. Welche Macht meinen Sie damit, und wofür soll sie eingesetzt | |
werden? | |
Diese Macht kann überall eingesetzt werden. Wir leben in einer Zeit, in der | |
die Menschen ihre Stimme erheben müssen: Sind wir gemeinsam stark, können | |
wir Veränderungen bewirken? Oft denke ich: Bringt es etwas, auf die Straße | |
zu gehen, bringt es nichts? | |
Für was gehen Sie persönlich auf die Straße? | |
Ich befinde mich nicht gern in großen Menschenmassen. Ich gehe nicht auf | |
die Straße, ich gehe auf die Bühne. So benutze ich meine Stimme. Das ist | |
meine Kraft. | |
Danger Dan singt in „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“, ein | |
Sturmgewehr in der Hand: „Und wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht | |
ankommen kannst, ist das letzte Mittel, das uns bleibt, Militanz.“ Könnte | |
man sagen: Auch Sie sind militant, aber auf friedliche, teils sehr | |
humorvolle Art? | |
Das ist richtig. Auch mit Ironie und Leichtigkeit lässt sich eine sehr | |
ernste, scharfe Botschaft transportieren. Humor ist nicht das Ziel, er ist | |
das Mittel. Wer sich unwohl fühlt, verschließt sich, blockiert. Wir wollen | |
Menschen aufschließen. | |
Aber ich muss mich als Zuschauer trotzdem wappnen? | |
Das Stück ist frontal und an die Zuschauer adressiert. Jeder Mensch ist für | |
uns sichtbar, davor ist er nicht geschützt. Wir arbeiten auch mit Masken, | |
die uns depersonalisieren, und zusammen mit unserem Bewegungsvokabular | |
kreieren wir Bilder, wecken viele Assoziationen. | |
Sie arbeiten mit Nacktheit. Auch das ja kann ja Irritation bewirken. | |
Auf jeden Fall. Wir konfrontieren die Zuschauer mit der Frage: Was ist | |
erotisch? Welche Körperteile werden sexualisiert? | |
Ihre Choreografie ist jetzt anderthalb Jahre alt. Verändert sie sich durch | |
neue gesellschaftliche Diskurse, aktuelle Fehlentwicklungen? | |
Alle meine Stücke sind sehr prozesshaft. Ihre Entwicklung endet nicht mit | |
der Premiere. Sie selbst verändern sich nicht. Aber die Art, wie man sie | |
lesen kann. | |
25 Apr 2024 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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