# taz.de -- berliner szenen: Ein Relikt aus alten Zeiten | |
Die Schotten des Kioskes, der, seit ich denken kann, unweit vom S-Bahnhof | |
Halensee stand, sind dicht. Kein Aufsteller mit den neuesten Schlagzeilen. | |
Keine freundlich lächelnde Besitzerin, die sich rauslehnt und einen Schwatz | |
hält. Stattdessen an der Seitenwand wenig ansprechende Essensbilder. Unter | |
den Bildern, vielleicht zur Sicherheit, die Namen der Speisen: „Pizza | |
Ruccola“, „Pizza Suzuk“, „Türkische Pizza“, „Rigatoni Pollo“. Ic… | |
verdattert stehen und starre die Bilder an. Dann gehe ich ungläubig einmal | |
um das Häuschen herum. Tatsächlich. Aus dem Kiosk ist ein Imbiss geworden. | |
Ich schüttele den Kopf. Als Kind habe ich an dem Kiosk Kaugummis gekauft, | |
als Jugendliche Zigaretten, als Erwachsene Zeitungen. Jetzt also ist er | |
weg. Sicher, denke ich, gibt es noch andere, die den Kiosk vermissen. | |
Menschen, die jetzt einen der letzten Orte verloren haben, an denen sie | |
sich über Weltlage und Wetter ausgetauscht haben. | |
Mit Panoramablick über den Ku’damm, der beinahe aus der Zeit gefallen | |
scheint, da sich hier noch immer mehr Läden als Nagelstudios finden, denke | |
ich oben im Doppeldeckerbus an Jan, einen der zwei Protagonisten in | |
Michaela Maria Müllers Roman „Zonen der Zeit“. Eigentlich soll der | |
Historiker und Archivar Akten des Auswärtigen Amtes bearbeiten. Dann aber | |
zieht es ihn an die Gneisenaustraße, wo seine Mutter in seiner Kindheit | |
einen Kiosk hatte. Vielleicht ist das Subversivste, was sich in dieser | |
Stadt machen lässt, neue Kioske zu eröffnen, an denen es Zeitungen oder gar | |
Bücher gibt. Orte, die den ganzen Körperoptimierungsschuppen etwas | |
entgegensetzen. Und die Stadt vor mehr ekligem Essen bewahren. In Gedanken | |
versunken steige ich am U-Bahnhof Kurfürstendamm aus und entdecke einen | |
dicht umdrängten Imbiss mit dem Slogan: „best bad food in town“. | |
Eva-Lena Lörzer | |
19 Apr 2024 | |
## AUTOREN | |
Eva-Lena Lörzer | |
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