# taz.de -- Im Zweifel gegen die Fahrgäste | |
> Der Bremer Senat plant den Umbau der Domsheide nicht barrierefrei. Was es | |
> zu gewinnen gibt, bleibt unklar. Der Landesbehindertenvertreter erwägt | |
> eine Klage | |
Bild: Das Problem ist der Weg zwischen den Stationen: Domsheide in Bremen | |
Von Lotta Drügemöller | |
Schöner, sicherer, stressfreier – mit dem Umbau der Domsheide, dem | |
zentralen Umstiegsplatz in Bremen nach dem Hauptbahnhof, sind und waren | |
viele Hoffnungen verbunden. Doch die Planungsvariante, für die sich der | |
Senat im Februar entschieden hat, schneidet ausgerechnet in zwei | |
Hauptkriterien schlechter ab als eine Alternative: bei der Barrierefreiheit | |
– und bei der allgemeinen Leistungsfähigkeit des ÖPNV. | |
Eine Petition der Nahverkehrsinitiative „Einfach Einsteigen“ gemeinsam mit | |
mehreren Behindertenverbänden und Privatpersonen will die Entscheidung des | |
Senats noch einmal umstoßen. 1.013 Unterschriften kamen zusammen für die | |
Forderung nach einem städtebaulichen Wettbewerb, der eine gute Lösung | |
finden soll für alle Anlieger – das heißt insbesondere auch für das | |
Konzerthaus „Glocke“: Die barrierefreie Variante war in der Diskussion vor | |
allem gescheitert am Widerstand des Konzerthauses, das keine zentral | |
gebündelte Haltestelle vor seinem Eingangstor sehen möchte. | |
Stattdessen soll an der Domsheide alles so ähnlich bleiben, wie es ist. In | |
der Variante, für die sich der Senat entschieden hat, gibt es weiterhin | |
zwei getrennte Haltepunkte: die Linien, die von Nord nach Süd fahren und | |
umgekehrt, halten in einer Straße, die Ost-West-Linien in einer anderen. | |
Barrierefrei sei das in Zukunft, so der Senat, denn die Bahnsteige sollen | |
angehoben werden, damit der Einstieg auch für Rollstuhlfahrer dann in | |
voller Straßenbahnlänge möglich sein wird, ohne auf einen Lift angewiesen | |
zu sein. | |
Doch das Problem, schon heute, ist der Weg zwischen den Stationen: Beim | |
Umsteigen entsteht regelmäßig Gehaste zwischen den Umstiegspunkten, etwa | |
150 Meter müssen überwunden werden. Auf dem Weg queren Fahrradfahrer die | |
Bahnlinien. „Spätestens hier bekomme ich als Blinder regelmäßig Probleme�… | |
erklärt der ehemalige Bremer Landesbehindertenbeauftragte Joachim | |
Steinbrück bei der Begehung des Areals mit dem Petitionsausschuss. „Die | |
Fahrradfahrer kann ich nicht hören. Es ist eine gefährliche Stelle, um mal | |
eben umzusteigen.“ | |
Besser würde in der neuen Planung nichts daran – im Gegenteil: Die beiden | |
Haltepunkte würden sogar noch einmal 50 Meter weiter auseinandergezogen: | |
Wer umsteigen möchte, muss dann 195 Meter zurücklegen – noch dazu mit einer | |
Steigung, vor allem für Ältere, für Rollstuhlfahrer*innen und für | |
Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen eine zusätzliche Hürde. | |
Unklar bleibt bei der Sitzung des Petitionsausschusses, was sich der Senat | |
von seiner bevorzugten Variante verspricht. Ein Behördenvertreter soll Rede | |
und Antwort stehen. Doch das bleibt unbefriedigend: Die Verkehrsbehörde, | |
vertreten durch Gunnar Polzin, zieht sich auf die immer gleiche | |
Formulierung zurück: „Aufgrund der überragenden städtebaulichen Bedeutung | |
der Domsheide hat sich der Senat für die Variante 2.3 entschieden.“ Nur mit | |
den auseinandergezogenen Stationen, so glaube der Senat, könne man der | |
Bedeutung des Platzes gerecht werden. | |
Konkreter wird es nicht. Dabei ist die Annahme nicht selbsterklärend. In | |
fast allen Punkten der frühen Bürgerbeteiligungsverfahren von 2019 gewann | |
die zentrale Haltestelle gegenüber der getrennten: Bei der Barrierefreiheit | |
sowieso, bei den Umstiegswegen, die in der zentralen Variante nur ein | |
Fünftel der Strecke beträgt, aber auch bei der konfliktfreien Gestaltung | |
des Fuß- und Radverkehrs. | |
Sogar gestalterisch punktet die zentrale Haltestelle: Auch Ortsfremde | |
können sich klar orientieren zwischen den Haltestellen und hin zu den | |
touristischen Attraktionen. Einzig bei den Freiflächen vor der „Glocke“ | |
gewinnt Variante 2.3. Doch nach neueren Berechnungen geht es dabei nur noch | |
um einen kleinen Raum: Von etwa 30 Zentimetern Platzunterschied zwischen | |
den beiden Varianten ist im Petitionsausschuss die Rede. | |
Die „Glocke“ selbst argumentiert mit der Sicherheit für die geteilte | |
Haltestelle: „Wir als Konzerthausbetreiber wollen im Notfall auch eine | |
Entfluchtung hinbekommen“, sagt Pressesprecher Carsten Preisler. Diese | |
Sicherheitsbedenken sind allerdings schon lange ausgeräumt, „es gibt keine | |
Ausschlussgründe im Hinblick auf Gebäudeentfluchtung,“ heißt es in einer | |
Vorstellung der Variante durch die damalige Stadtentwicklungsbehörde von | |
2019. | |
Was die Stadt konkret gewinnen kann, bleibt durch die Behördenaussagen | |
unklar. Zu verlieren gibt es allerdings einiges: Arne Frankenstein, der als | |
Landesbehindertenbeauftragter bisher leiser aufgetreten ist als sein | |
streitbarer Vorgänger, nutzte die Sitzung des Petitionsausschusses für eine | |
Ankündigung: „Die Variante 2.3 ist nicht barrierefrei. Sollte es zu einem | |
Planfeststellungsbeschluss kommen, werde ich eine Klage in Erwägung | |
ziehen.“ Eine Klage könnte die Planungen für die Domsheide über Jahre auf | |
Eis legen. Nur bis 2030 ist gesichert, dass der Bund Mittel zum Umbau | |
zuschießen würde. | |
10 Apr 2024 | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |