# taz.de -- kritisch gesehen: „das kindergericht“ in der bremer schwankhall… | |
Große Frage: Ist der Tod nun gerecht, oder nicht? Ekue, Marten, Fritzi, | |
Julian, Lennox und Leonie sind sich in der Sache nicht ganz einig. Und auch | |
bei Felias, Dennis, Smart, Noah, Tessa, Eleni, Pelin und Terje besteht | |
offenbar weiterer Diskussionsbedarf. Die Sache ist eben kompliziert – und | |
erscheint vielleicht sogar noch etwas komplizierter, wenn man erst alle 14 | |
Plädoyers gehört und sortiert hat. Auch nachdem das „Kindergericht“, so d… | |
Titel der Veranstaltung getagt hat, steht das Urteil noch aus | |
Also: Fürs Theaterstück standen am Wochenende ziemlich viele Kinder auf der | |
Bühne der Bremer Schwankhalle, haben nicht nur getanzt, gespielt und | |
gerungen – sondern eben auch nachgedacht und im Stück darüber berichtet. | |
Alle. Die Tatsache, dass es also keine Trennung zwischen exponierter | |
Sprechrollen und Statist:innenvolk gibt, bezeichnet nämlich schon mal | |
die erste Barriere, die Regisseur Arthur Romanowski und die imaginary | |
company gelassen beiseite geräumt haben. Mit Kindern und Jugendlichen „auf | |
Augenhöhe“ zu arbeiten, hat sich die 2017 am Frankfurter Mousonturm | |
entstandene Performancegruppe damals schließlich ins Konzept geschrieben, | |
genauso wie die „unmittelbare Erfahrbarkeit abstrakter, komplexer | |
Fragestellungen“. Das ist bei dieser Produktion: das Gesetz. | |
In den vergangenen Herbstferien hatten die Performer:innen mit Bremer | |
Kindern und jungen Erwachsenen Gerichte besucht. Sie haben echte Verfahren | |
beobachtet und in verschiedenen theatralen Formen reinszeniert. Von dieser | |
aufwändigen Recherchearbeit sind im nun uraufgeführten Stück nur noch | |
Fragmente zu sehen: kurze Video-Einspieler aus dem Gerichtssaal, Kinder im | |
Talar, Bruchstücke von Beobachtungen eines Geschehens, dessen Zusammenhänge | |
sich von außen nicht mehr erschließen lassen. | |
Auch bei den Kindern scheint dieses Erleben heute – ein halbes Jahr und | |
eine Abstraktionsebene weiter – eingesickert zu sein. Es fundiert ein | |
Gespräch über das Recht und die Gerechtigkeit selbst. Den Rahmen dafür | |
liefert eine Herr-der-Fliegen-Situation: Abgestürzt auf einer Insel müssen | |
die Kinder ohne Erwachsene Werte definieren und Gesetze aufstellen. | |
Wobei schon das mit dem Müssen so eine Sache ist. Tatsächlich gibt es auch | |
auf dieser Ebene keinen Fall, den sie verhandeln würden, kein Problem und | |
keine Erzählung, sondern eben episodenhaft durchgespielte Diskussionen über | |
den Tod, übers Lügen oder die Zerstörung des Planeten. Das habe die Kinder | |
mehr interessiert, heißt es. Und so wirkt es auch, selbst wenn sie | |
abwechselnd aus Franz Kafka vorlesen. | |
Der Preis für die erzählerische Freiheit der Darsteller:innen ist nun, | |
dass man im Publikum keine durchkomponierten Ergebnisse serviert bekommt, | |
sondern ein wildes Gemisch aus bemerkenswert tiefgründigen Gedanken und | |
Banalitäten; manchmal in vielfacher Wiederholung, weil 14 sprechende Kinder | |
eben nicht 14 grundverschiedene Aspekte einer ethisch-moralischen Debatte | |
verkörpern. Sie sagen manchmal einfach das Gleiche, was die | |
Vorgänger:innen schon treffend ausformuliert hatten. Selbst Anja | |
Schneidereits Bühne ist eine weitgehend undefinierte Landschaft mit einem | |
Podest im Hintergrund, von dem herab sich Reden halten lassen. Wenn denn | |
jemandem danach ist. | |
Die Gerechtigkeitsfrage lässt sich von der dramaturgischen bald nicht mehr | |
unterscheiden. Das gilt fürs Miteinander der Kinder genauso wie fürs | |
Verhältnis von Publikum und Darsteller:innen. Darf man die einen zwingen, | |
ihr Denken, Tun und Spielen den Unterhaltungsansprüchen der anderen | |
unterzuordnen? Eben. Jan-Paul Koopmann | |
9 Apr 2024 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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