# taz.de -- berliner szenen: Gegen den Wahnsinn ansingen | |
Liebe ist, wenn es …“, tönt aus den Boxen der Supermarktlautsprecher. Ich | |
singe im Kopf mit. Die Werbung läuft in dem Supermarkt seit Monaten in | |
Dauerschleife und ich bin mehrmals in der Woche da. Auf dem Weg zum Ausgang | |
sehe ich zwei der Männer, die die Regale umräumen, mit ihren Kisten durch | |
den Gang tanzen. „Liebe ist …“, singt der eine mit übertrieben | |
melodramatischer Stimme und legt die Hand auf sein Herz. Der andere | |
schneidet eine Grimasse und stimmt ein. Sie stellen ihre Kisten ab, nehmen | |
sich an den Händen und machen Walzerbewegungen. Die Umstehenden lächeln. | |
Ein circa fünfjähriger Junge ahmt ihre Tanzbewegungen nach und stößt dabei | |
in einen älteren Herrn, der gerade das Kleingedruckte einer Packung Eier | |
studiert. Der alte Herr murrt etwas Unverständliches in seinen Lippenbart. | |
Augenblicklich nehmen die beiden Mitarbeiter ihre Kisten wieder auf und | |
sortieren mit betont roboterhaften Bewegungen H-Milch in ein Regal ein. | |
Ich muss an meine Studentenjobs als Hostess auf irgendwelchen Messen | |
denken. Bei denen habe ich, um die Eintönigkeit der aus nichts weiter als | |
Herumstehen, Lächeln und freundlichen Grüßen bestehenden Jobs zu überleben, | |
auch immer mit Kolleginnen die Lieder in den Messehallen oder die Posen der | |
Models auf den nahegelegenen Bühnen parodiert. Aus einer solchen | |
Messeblödelei mit einer Kommilitonin, mit der ich mir einen Wettkampf | |
lieferte, wer das schlimmere Denglisch sprechen könne, bin ich noch heute | |
befreundet. Gemeinsam gegen den allgemeinen Wahnsinn ansingen und antanzen, | |
denke ich, ist doch noch immer die beste Methode, trotz allem nicht den | |
Spaß zu verlieren. Ich strahle die Mitarbeiter mit der H-Milch im | |
Vorbeigehen an und tänzele zum Sound des nächsten Werbesongs zur Kasse. | |
Eva-Lena Lörzer | |
22 Mar 2024 | |
## AUTOREN | |
Eva-Lena Lörzer | |
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