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# taz.de -- Die Politik des Klangs
> Ideal ist, wenn sich die Kunst mit dem täglichen Leben mischt: Die
> Computermusikerin Jessica Ekomane hat für das Festival Maerzmusik
> Kompositionen für Carillons geschrieben und eine Typografie des Hörens
> entwickelt
Bild: Sie liebt die Grauzonen zwischen verschiedenen Kontexten: Jessica Ekomane
Von Maxi Broecking
An diesem frühlingshaften Märztag schien die Sonne auf den Bühneneingang
des Hauses der Berliner Festspiele. Innen, im Halbschatten dieses
Nachmittages, wurden noch die letzten Vorbereitungen für den Start des
diesjährigen Maerzmusik-Festivals getroffen, das sich seit dem 15. März in
verschiedenen Formaten der Erfahrung von Klang widmet. So werden in der
Reihe „Typographies of Hearing“ urbane Räume klanglich erkundet. In diesem
Jahr wurde die in Berlin lebende, französisch-kamerunische Klangkünstlerin
und Computermusikerin Jessica Ekomane eingeladen, dazu ein kompositorisches
Konzept zu entwickeln.
Ekomanes Arbeiten wurden bereits im Centre Pompidou in Paris, im ZKM in
Karlsruhe und, in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Natascha Sadr
Haghigian, auf der Biennale in Venedig präsentiert. Für Maerzmusik hat sie
eine Komposition für Carillon geschrieben, für verschiedenen
Turmglockenspiele in Berlin, die im Rahmen des Festivals in der
Parochialkirche und im Carillon im Tiergarten neben dem Haus der Kulturen
der Welt zu hören sein werden. Ergänzend hat sie ein Programm kuratiert, in
dem Kompositionen der Konzeptkünstlerin Hanne Darboven, des Minimal
Music-Komponisten Charlemagne Palestine oder der schwedischen Komponistin
Ellen Akbro für Carillon bearbeitet wurden sowie Stücke aus der
afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung von Reverend Charles Albert Tindley
oder Florence Reece.
In einer der Künstler*innengarderoben des Festspielhauses erklärt
sie ihr Programm. „Für mich“, so Ekomane, „ist alles politisch. Wir
befinden uns im öffentlichen Raum, es ist also sowieso ein politischer
Ort.“ Es sei nicht so, dass sich das ganze Programm um Bürgerrechte dreht.
„Es geht um verschiedene Perspektiven. Ich denke, dass ich ein Programm
wollte, das auch die Identität von Komponistinnen beleuchtet, denn in
dieser Welt ist es natürlich wie überall, dass meistens weiße Männer im
Mittelpunkt stehen.“
Die 1989 in Frankreich, nahe Tours geborene Ekomane studierte zunächst
Kunstgeschichte, bevor sie im Rahmen eines Erasmus-Austauschs 2012 nach
Berlin kam und in die elektronische Musikszene eintauchte. Ein Konzert von
Alva Noto in ihrer Stadt war für sie ein Schlüsselerlebnis.
„Das war für mich wirklich neu“, erinnert sie sich. „Denn von der Ästhe…
her ist es sehr trocken und sehr deutsch, sehr minimalistisch. Das war der
Moment, in dem ich dachte, das ist wirklich cool, ich möchte herausfinden,
wie man das macht.“ Mit klassischem Klavier hatte sie sich eingeschränkt
gefühlt, bis ihr Lehrer ihr Musik von György Ligeti mitbrachte. „Für mich
war es ein großer Schock, diese Musik zu entdecken. Ich wusste nicht, dass
man so etwas mit einem Klavier machen kann. Irgendwie hatte ich das Gefühl,
dass dies die erste Möglichkeit war, über Musik in Form von Klängen und
nicht mehr in Form von Noten nachzudenken, denn Ligetis Arbeit ist auch
stark von der elektronischen Musik beeinflusst. Für mich war das ein erster
Schritt zu dieser Art des Denkens.“ Elektronische Musik zu entdecken war
wie eine Offenbarung. „Für mich enthält diese Musik alle Klänge, die
möglich sind.“
An der Universität der Künste, an der sie mittlerweile als Lehrbeauftragte
tätig ist, studierte sie in den Bereichen Sound Art und generative Kunst
die Möglichkeiten, Programmierung in künstlerischen Prozessen einzusetzen.
„Ich bin keine ausgebildete Komponistin“, so Ekomane. „Alles, was ich zum
Komponieren verwende, habe ich mir selbst beigebracht. Dazu benutze ich vor
allem eine Software namens Max MSP, mit der ich Musik programmiere.“
Während des Studiums arbeitete sie in einem Projekt mit Mehrkanalsystemen.
„Da habe ich festgestellt, dass ich mit diesem Vokabular denken kann.“
Ihre Komposition für Maerzmusik ist ein computergeneriertes Stück mit dem
Titel „Bonds“. „Das gesamte Projekt untersucht Verbindungen im öffentlic…
und damit mit der Gemeinschaft geteilten Raum. Gemeinschaft kann Stärke und
Schutz bieten, aber auch Beschränkungen auferlegen.“ In der Vergangenheit
seien Glocken genutzt worden, um mit der Gemeinschaft zu kommunizieren, den
Tag zu strukturieren, aber auch als Ausdruck der politischen Macht der
Kirche.
Die Stücke werden von der Carilloneurin der Parochialkirche, Anna
Kasprzycka, gespielt und beziehen durch den Klang die Nachbarschaft und die
Vorbeigehenden ein. In ihrer Idealvorstellung mische sich Kunst mit dem
täglichen Leben. „Ich experimentiere viel mit musikalischen Stimmungen, oft
auch aus Westafrika. Dies ist für mich eine Art von Freiheit, die ich auch
mit spezifischer Computermusiktechnik verbinde. Das ist das Herzstück
meiner Arbeit im Allgemeinen, ich arbeite viel mit musikalischen Vokabeln.
Auch liebe ich Grauzonen und Dinge zu definieren, die sich zwischen
verschiedenen Kontexten bewegen. In Museen, Konzerträumen, Clubs oder, wie
jetzt, in Glockentürmen.“
Ekomane beschäftigt sich viel mit dem Hören im Allgemeinen, der Fähigkeit
zuzuhören und wie die individuelle und kollektive Klangwahrnehmung von dem
jeweiligen kulturellen Umfeld geprägt ist. Damit stellt sie ihre Arbeit als
elektronische Musikerin und Künstlerin in einen kulturpolitischen Kontext,
der über die Musik hinausgeht. Divers, afrodiasporisch, poetisch, als eine
Typografie des Hörens.
Maerzmusik Festival „Typographies of Hearing“
Jessica Ekomane „Bonds“. 18. und 23. März Parochialkirche, 22. März,
Carillon im Tiergarten
18 Mar 2024
## AUTOREN
Maxi Broecking
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