# taz.de -- Zwei Männer lieben hässliches Entlein | |
> Pjotr Tschaikowskis Oper „Pique Dame“ erlebte eine stimmstarke Premiere | |
> an der Deutschen Oper Berlin | |
Von Katharina Granzin | |
Die gruseligste Szene steht gleich am Anfang und spielt in einem | |
Petersburger Park, in dem fröhliches Treiben im Gang ist. Nach einer Gruppe | |
kleiner Mädchen, die ein harmloses Liedchen singen, tritt eine Horde | |
kleiner Jungen in Militäruniformen auf, die mit Spielzeuggewehren vage | |
Richtung Publikum zielen (ein wenig subtiler Regieeinfall) und singend | |
verkünden, das Vaterland allzeit gegen den Feind zu verteidigen. Ja, | |
Tschaikowski hat die Musik zu diesem ostentativ zarentreuen Auftritt | |
tatsächlich komponiert, und sein Bruder Modest, der Librettist, hat ihn so | |
geschrieben. Es ist ein Moment, in dem man gut versteht, warum in Kyjiw | |
derzeit keine Tschaikowski-Oper auf die Bühne kommen kann. | |
Die Produktion, die nun an der Deutschen Oper ihre Premiere erlebte, hat | |
allerdings eine etwas längere Entstehungsgeschichte, denn der Regisseur Sam | |
Brown hat ein Konzept übernommen und weitergeführt, das noch von dem 2021 | |
verstorbenen Graham Vick erarbeitet worden war. Fast ein bisschen ähnlich | |
verhält es sich mit der Arbeit der Brüder Tschaikowski, denn das Libretto | |
von „Pikowaja Dama“ basiert auf der gleichnamigen Erzählung Alexander | |
Puschkins. | |
Was Modest Tschaikowski aus Puschkins Text gemacht hat, wäre inzwischen gar | |
nicht mehr möglich – nicht nur, weil der Autor zum Zeitpunkt der | |
Uraufführung im Jahr 1890 noch keine siebzig Jahre tot war, sondern weil | |
eine so umfassende Umdeutung heutzutage als nicht anständig gelten würde. | |
Die weibliche Hauptfigur, bei Puschkin armes Pflegekind einer Gräfin, wird | |
in der Oper zu einer reichen Erbin, die gesellschaftlich turmhoch über der | |
männlichen Hauptfigur steht: Das ist Hermann, ein mittelloser Offizier, der | |
bei Puschkin die gutgläubige Lisaweta kaltherzig in sich verliebt macht, um | |
an das Kartengeheimnis der alten Gräfin zu kommen, die einst eine gewiefte | |
Zockerin war, und somit endlich reich zu werden. | |
Bei den Tschaikowskis hingegen wird Hermann zum tragischen romantischen | |
Helden, der so hoffnungslos wie unsterblich verliebt ist in die reiche Lisa | |
und erst dadurch die fixe Idee entwickelt, der alten Gräfin das Geheimnis | |
der stets gewinnenden Karten entreißen zu müssen, um selbst ebenfalls zu | |
Reichtum zu kommen und mit Lisa leben zu können. | |
Was das Berliner Regieteam (alles Männer übrigens) auf dieser Basis mit der | |
weiblichen Hauptfigur anstellt, wirkt überaus seltsam. Lisa ist bei | |
Tschaikowski angelegt als Melancholikerin, die verlobt ist mit einem Mann, | |
der sie liebt (Tschaikowski hat ihm die schönste Arie komponiert, für deren | |
Ausführung Thomas Lehman am Premierenabend zu Recht Szenenapplaus bekommt), | |
aber dennoch dem leidenschaftlichen Hermann verfällt. Bei Brown/Vick nun | |
wird Lisa zu einem verhuschten Mäuschen, das von der Requisite mit der | |
hässlichsten Brille der Welt versehen wurde und über unförmigen Kleidern | |
eine missratene Ponyfrisur trägt. Außerdem wurde die Sängerin Sondra | |
Radvanovsky angewiesen, stets leicht geduckt und mit vornüberhängenden | |
Schultern über die Bühne zu huschen. Da eine solche Haltung dem Singen | |
nicht förderlich ist, muss sie sich aber jedes Mal zu voller Größe | |
aufrichten, wenn ihr herrlich starker Sopran zu erklingen hat: ein | |
Jekyll-und-Hyde-mäßiger Kontrast. | |
Vorzüglich starke Stimmen beweisen alle an diesem Abend, der sängerisch | |
eher wenig differenziert, weil überwiegend in verschiedenen Abstufungen von | |
Fortissimo bewältigt wird. Das Orchester unter Sebastian Weigle agiert | |
daneben geradezu auffällig zurückhaltend, sodass sich allzu oft der | |
Eindruck einer klanglichen Unwucht einstellt. Vom in Regimentsstärke | |
angetretenen Opernchor werden die InstrumentalistInnen sowieso einfach | |
niedergebrüllt. | |
11 Mar 2024 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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