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# taz.de -- Leider reichlich angestaubt
> Wo bleiben die zeitgemäßen Übersetzungen des ukrainischen Dichters Taras
> Schewtschenko?
Von Nikolaus Bernau
Mitten in der usbekischen Hauptstadt Taschkent gibt es den feinen
Schewtschenko-Boulevard. Auch eine Elite-Schule und ein großes Denkmal mit
Büste und phänomenalen Mosaiken erinnern an den ukrainischen
Nationaldichter. In Paris wird seiner an der Seine zwischen Eiffelturm und
Notre Dame gedacht, in New York im East Village, in Vilnius, Warschau,
Washington D.C., Rom, Curitiba, Budapest, Bratislava, sogar Skopje und
Kopenhagen stehen Denkmale, schon seit 1918 eines in Moskau.
Angeblich soll es weltweit um die 1.400 Schewtschenko-Gedenkstätten in 35
Ländern geben, eine Bucht im nördlichen Aral-See (angeblich noch nicht
ausgetrocknet), ein Berg im Kaukasus und ein Kreuzfahrtschiff gehören dazu,
ein Mondkrater, ein Asteroid und ein Museum in Toronto, ganz zu schweigen
von dem ausufernden Schewtschenko-Kult in der Ukraine. Dort ist so manches
Lenin-Denkmal seiner Statue gewichen, und das Grab bei Kaniv ist eine
nationale Pilgerstätte, von dem er in seinem Gedicht „Sapowit“ träumte,
frei aus dem Englischen übersetzt: „Wenn ich sterbe, macht mein Grab / Hoch
auf einem alten Berg / In meiner geliebten Ukraine / Im Steppenland ohne
Grenze / wo man sehen kann das weite Weizenfeld / die steilen Klippen des
Dnipro ….“
Und in Deutschland? Rien. Nichts. Gar nichts. Dabei werden hier
postkoloniale DichterInnen doch eigentlich gerne geehrt. Aber KünstlerInnen
– Schewtschenko ist zunächst als Maler berühmt geworden! –, die die
Freiheit und für sie vergossenes Blut preisen, die Erde, die Bauern und die
Natur stehen seit 1945 pauschal unter Rechts-Verdacht. Dabei gingen
glühendes Nationalbewusstsein, der Ruf nach Freiheit und die vehemente
Forderung nach liberaler, weltoffener Demokratie nicht nur im 19.
Jahrhundert oft Hand in Hand.
Deswegen waren es gerade deutschsprachige Liberale, die schon in den
1860ern mit ersten Übersetzungen Schewtschenko international als
ukrainischen Puschkin bekannt machten – der allerdings auch als
Propagandist des russischen Imperialismus arbeitete. Puschkin findet man
heute in jeder guten Buchhandlung. Deutschsprachige Übersetzungen des
schwelgenden und ätzenden „Kobsar“-Dichters dagegen nur in
wissenschaftlichen Bibliotheken, in auch sprachlich staubigen Ausgaben aus
sozialistischer Zeit. Der für 2.000 Rubel freigekaufte Leibeigene wurde
nämlich begeistert von der Sowjetmacht instrumentalisiert, er, der für die
Armen und Entrechteten focht, eingekerkert, verbannt und zurückholt wurde.
Seine Sehnsucht nach Freiheit der Ukraine verbuchte man locker, wozu gibt
es Dialektik?
Als 2014 auf dem Maidan für eine freie Ukraine gefochten wurde, staunte man
in Deutschland, wollte wieder den so viel zitierten Taras Schewtschenko
lesen. Doch es geschah nichts. Also: In ihrer nächsten „Unsere Demokratie
ist bedroht“-Rede sollte Kulturstaatsministerin Claudia Roth einen
Schewtschenko-Übersetzungswettbewerb ausschreiben. Anlass könnte sein: Am
9. März feiert die Ukraine den 210. Geburtstag ihres Nationaldichters.
2 Mar 2024
## AUTOREN
Nikolaus Bernau
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