Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Isolde Charim Knapp überm Boulevard: Wenn das Unversöhnliche noch…
Von Karl Marx stammt das bekannte Wort: Geschichte ereigne sich immer
zweimal: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Slavoj Žižek
machte daraus: First comes tragedy, then comes tragedy. Žižeks Version
bringt die Geschehnisse im Nahen Osten auf den Punkt. Erst der
Hamas-Überfall vom 7. Oktober, dann die Gaza-Offensive: Auf die Tragödie
folgt die Tragödie.
Die Geschehnisse außerhalb hingegen – vornehmlich in Deutschland – folgen
eher dem Marx’schen Szenario: Was im Nahen Osten eine unermessliche
Tragödie ist, kehrt hier als Farce wieder.
Nehmen wir die Ereignisse, die sich vor zwei Wochen im Hamburger Bahnhof in
Berlin abgespielt haben. Denn es ist das Protobeispiel solch einer Farce.
Eine Gruppe von Aktivisten benutzte eine Kunstperformance – eine
öffentliche Lesung von Hannah Arendt – für ihren Protest gegen Israel.
Einen Protest eigener Art mit einer Reihe eigenartiger Äußerungen.
Der erste Akt dieses Protests gipfelte in der Parole: „Palestine will set
us (!) free.“ Eine erstaunliche Erlösungsfantasie. Später kamen sie wieder,
um in einem zweiten Akt die Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt
niederzubrüllen. Als die künstlerische Organisatorin ihre Solidarität mit
der palästinensischen Sache beteuerte, schrien sie: „Du bist immer noch
eine weiße Person“ (einen Makel, den sie mit etlichen Aktivisten teilt).
Als sei das nicht schon schlimm genug, schleuderten sie der ganzen
Versammlung entgegen: „Ihr performt nur – wir handeln.“ Das war
gewissermaßen der Gipfel ihrer Performance. Man kann sich nicht vorstellen,
dass das der palästinensischen Sache nützt. Aber Palästina soll ja auch
„uns (!) befreien“.
Das vielleicht Erstaunlichste an diesem wirren antisemitischen Ausbruch
aber war, dass er sich ausgerechnet gegen ein israelkritisches Auditorium
richtete. Hier wurde eine neue Differenz in Szene gesetzt: die Differenz
zwischen Kritik und Wahn. Das alte Kunstmittel Provokation ist hier ad
absurdum geführt worden: Die Kunst als Raum des Möglichen funktioniert
nicht mehr. Zurück bleibt nur die Störung.
Ein Scheitern, das sich nahtlos einreiht in die zunehmende Verunmöglichung
sämtlicher kultureller Formen. Denn die Kriegslogik der vehementen
Parteinahme ist überall eingezogen. Diese blockiert den gesamten Bereich.
Alle Bühnen der öffentlichen Auseinandersetzungen haben sich verwandelt.
Aus Verhandlungsorten politischer Differenzen sind sie zu
„Bekenntnisfronten“ verhärtet, so Peter Neumann in der Zeit. Hier gibt es
nur mehr harte, wütende, aufgeheizte Konfrontationen. Vorbei die Zeit, wo
man noch glauben konnte, Konflikte hätten eine integrative soziale
Funktion. Stattdessen allseitiges Canceln. Der Staat streicht Fördergelder
je nach Gesinnung. Institutionen sagen Veranstaltungen ab aus Angst vor
Eskalationen. Teilnehmer wiederum sagen von sich aus ab.
Auch die Berliner Clubszene, ein Inbegriff des Hedonismus, ist betroffen:
„Der Nahostkonflikt zerreißt die Szene“, meinte Clubbetreiber [1][Sascha
Disselkamp in der taz]. Jene Szene, die sich selbst etwas utopisch
beschreibt als Ort eines harmonischen Miteinanders unterschiedlicher
Menschen, als Ort, wo „Identität überwunden werden kann“. Auch hier
herrscht ein Klima der Angst. Auch hier sind die Gräben tief. Selbst die
großen Demos gegen die Rechtsextremen – wo die unterschiedlichsten Leute
sich versammeln, um „gemeinsam uneins zu sein“, wie Katharina Körting in
der taz schrieb –, selbst diese blieben von der neuen Demarkationslinie
nicht verschont. Auch hier taucht der unversöhnte Nahostkonflikt als
unversöhnlicher auf und zerreißt das, was sich in aller Prekarität als
Einheit gegen Nazis versteht.
Der Nahostkonflikt droht auch hierzulande die liberalen Gesellschaftsformen
zu sprengen (oder das, was die Social-Media-Verheerungen davon noch übrig
gelassen haben). Und der Nahostkonflikt ist dabei, die Linke zu zerreißen
(oder was davon noch übrig ist). Das ist kein vorübergehendes Phänomen,
keine momentane Erhitzung auf die dann, bald, die übliche Abkühlung folgt.
Hier hört die Farce auf.
Die Autorin ist Publizistin in Wien.
27 Feb 2024
## LINKS
[1] /!5989863&SuchRahmen=Print
## AUTOREN
Isolde Charim
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.