# taz.de -- crime scene: Frauenmord im Rotlichtbezirk | |
In die Etablissements von Kalkuttas Rotlichtbezirk Shonagachi verirrt sich | |
die Polizei nur selten. Gegen Schmiergeld wird das Bordell- und Zuhältertum | |
geduldet, von irgendetwas müssen die Polizisten ja leben. Ab und zu werden | |
Razzien durchgeführt, die zur Folge haben, dass die aufgegriffenen | |
Prostituierten jeglichen sozialen Halt verlieren. Und wenn mal eine Frau | |
tot aufgefunden wird, interessiert das die Ordnungsmacht einen feuchten | |
Dreck. | |
Das ist das Milieu, in dem Lalee lebt, eine junge Frau Ende zwanzig, die | |
als Kind von ihrer Familie an ihre „Madam“ verkauft wurde, von der sie | |
immer noch ein Zimmer mietet. Gerade als Lalee eines Tages Besuch von ihrem | |
Stammkunden Tilu hat, einem Autor schlüpfriger Gebrauchsliteratur, wird | |
nebenan ihre Kollegin Mohamaya ermordet. Und als wäre das nicht verstörend | |
genug, müssen Lalee und die anderen erleben, wie „Madam“ die Leiche so | |
schnell wie möglich wegschaffen und einäschern lässt. | |
Dieses Initialgeschehen wird in Rijula Das’ figurenreichem, | |
multiperspektivischem Debütroman bald überlagert von vielen | |
Erzählschichten. Eine Prostituierte, die sich in einer NGO engagiert, zeigt | |
den Mord mutig bei der Polizei an, unterstützt von einer Sozialarbeiterin | |
aus gutem Hause. Gemeinsam schaffen sie es, zumindest einen Kriminalbeamten | |
dazu zu bringen, sich, wenn auch Tage später, den Tatort anzusehen. Der an | |
sich gutwillige Inspektor ist aber viel zu bequem und auch nicht | |
intelligent genug, um es mit den Leuten in den oberen Etagen aufnehmen zu | |
können, die den Fall unter den Tisch kehren wollen. Und seine Kollegen sind | |
ohnehin frauenverachtende Zyniker. | |
Die eigentliche Hauptfigur des Romans, Lalee, aber gerät durch den Tod der | |
Kollegin in eine lebensgefährliche Lage. Zunächst sieht es so aus, als sei | |
sie nun zur hochbezahlten Edelprostituierten aufgestiegen. Doch bald findet | |
sie sich, eingesperrt, misshandelt und gedemütigt, als Gefangene eines | |
Sektengurus wieder, der sich gewohnheitsmäßig Frauen zum Foltern und | |
Vergewaltigen liefern lässt … | |
Anders als ein herkömmlicher Thriller ist dieser Roman nicht auf „Suspense“ | |
hin gebaut; ein Spannungsgefühl wird nicht getriggert, sondern muss beim | |
Lesen selbsttätig erarbeitet werden. Zum Ende hin nehmen die temporeichen | |
Actionszenen zu, generell aber interessiert die Autorin sich vor allem für | |
Milieu- und Figurenzeichnung, und darin liegen auch die größten Stärken des | |
Buches. | |
Die Prostituierten, die darin auftreten, allen voran die selbstbewusste | |
Lalee, sind keine bemitleidenswerten Opfer, sondern Menschen, die aus einer | |
beschissenen Lage das Beste zu machen versuchen. Die Freier, verkörpert vor | |
allem im treuen Stammkunden Tilu, sind meist bedürftige Ritter der | |
traurigen Gestalt. Und unter den Polizisten gibt es neben echten | |
Riesenarschlöchern auch idealistische Loser, die eigentlich die besten | |
Absichten haben, aber damit nicht durchkommen. Die Nebenfiguren sind oft | |
rätselhaft, niemals platt, aber sehr zahlreich. | |
Am Ende tröstet ein ganz bescheidenes, zart angedeutetes Happy End ein | |
klein wenig über den Zustand der korrupten, frauenfeindlichen Gesellschaft | |
hinweg, die Rijula Das hier porträtiert hat. Schön wäre es, wenn man denken | |
könnte, dass das alles ja nur Fiktion ist. | |
Katharina Granzin | |
27 Jan 2024 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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