# taz.de -- Beziehungsunfähige GenZ?: Resilienzen und Romanzen | |
> GenZ und die Liebe – es ist kompliziert: Mira will sich nicht binden. Und | |
> Autor Aron hat sich schon gebunden. Aber nicht romantisch. Er weiß es nur | |
> noch nicht. | |
Bild: „Liebe“ muss nicht immer zwangsläufig romantisch konnotiert sein | |
[1][taz FUTURZWEI] | Der Sommer in Berlin fängt genau dann an, als Mira mir | |
sagt, was Sache ist. | |
Und ich frage: »Also, wir können, wenn wir wollen, auch andere Leute | |
treffen und machen, was wir wollen und sehen uns dann einfach Sonntag | |
nächste Woche?« | |
»Ja.« | |
»Ich frage das ja auch nur, um zu wissen, ob das auch für dich okay ist.« | |
»Sonst hätte ich es ja nicht vorgeschlagen.« | |
»Ok!« | |
Eine Stunde später stehe ich heulend mit meiner Reisetasche in | |
Berlin-Mitte, klingele bei meinen Freunden Jakob und Maik und erzähle, was | |
los ist: Ich habe gerade keine Wohnung, da mein Vermieter die für sich | |
braucht und weil ich eigentlich diesen Sommer hauptsächlich reisen wollte, | |
dachte ich. Für die paar Berlin-Besuche könnte ich ja immer bei Mira | |
schlafen. | |
Doch daran ist jetzt nicht zu denken. Und auch nicht an die Reise und auch | |
an sonst nichts, weil ich nur noch an Mira denke – und an das, was war. Wir | |
haben uns im Frühjahr kennengelernt und ab da alles zusammen gemacht. Wir | |
waren auf Demos und Campen und haben super viele Partys gefeiert und Sex | |
gehabt. Und ich dachte, dass wir vielleicht ruhiger werden, es aber so mit | |
uns weitergeht und wir irgendwann ein Kind haben und an Weihnachten | |
zusammen mit dem ICE zu ihrer Familie fahren, weil ich mein Auto aus lauter | |
Liebe endlich verkauft habe. Aber jetzt ist Sommer und ich habe keine | |
Ahnung, was Mira will. Ich weiß nur, dass sie mich nicht will. | |
»Ach, Mann«, sagt Maik, und er und Jakob nehmen mich in den Arm. Dann gehen | |
wir gemeinsam aus, trinken, später weine ich ein bisschen und schlafe bei | |
den Beiden auf der Couch. | |
Die ersten Abende meiner Ablenkungskur laufen größtenteils nach diesem | |
Muster ab: Tagsüber liege ich nur in der Wohnung herum und höre laut | |
Indie-Pop-Songs, die ich zu meiner Situation passend finde. Doch eines | |
Morgens setzt sich Jakob plötzlich zu mir an die Couch. | |
»Wenn ich in dieser Wohnung noch ein scheiß Tocotronic-Lied höre, musst du | |
gehen«, sagt er bemüht ruhig. | |
»Aber nur so kann ich nachdenken!«, entgegne ich echauffiert. | |
»Worüber denn?« | |
So richtig weiß ich das auch nicht. Über meine Situation? Darüber, dass ich | |
keine meiner toll geplanten Reisen antreten kann, weil ich Berlin jetzt | |
bloß nicht verlassen darf, weil das irgendwie auch eine endgültige Absage | |
an die Sache mit Mira wäre. | |
Dieser irre Mist, den man sich eben erzählt, wenn man unglücklich verliebt | |
ist. Aber die Erkenntnis soll erst später kommen. Jetzt, mitten im Sommer, | |
klammere ich mich noch an folgendem Gedanken fest: Okay, Mira und ich sind | |
kein Paar, wir steuern auf nichts hin, sagt sie, aber da ist nicht nichts. | |
Und so lange nicht klar ist, was nicht nichts ist, habe ich Hoffnung. | |
Sie kann sich vielleicht einfach noch nicht entscheiden, denke ich. | |
Verständlich, die größte Sorge unserer Generation liegt laut Trendstudien | |
schließlich darin, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Dass man | |
sich jemandem anvertraut, man investiert, sich verletzbar macht, aber dann | |
doch merkt, dass das keine gute Idee war. Mira kam aus einer langen | |
Beziehung, genau wie ich auch. Sie hatte Angst, sich zu committen, sich zu | |
stressen und ich habe mich eigentlich ziemlich schnell in sie verliebt, und | |
wusste nie, womit diese Angst begründet war. Aber niemand erklärt uns die | |
Angst vor der Liebe, habe ich ihr dann einmal gesagt, und als sie nicht so | |
richtig reagierte, sagte ich noch: »Das ist von Jörg Fauser.« | |
»Keine Ahnung, wer das ist, aber das ist einfach kitschig«, antwortete sie. | |
»Aber das zeigt nun einmal deine viel zu romantische Art«, sagt Maik, als | |
er mir eines Abends eine Tasse Tee bringt, ich ihm ungefragt davon erzähle | |
und er dann schnell in seinem Zimmer verschwindet. | |
Mira und ich haben uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht wiedergetroffen, da | |
ich darauf warte, dass sie sich meldet. Bis dahin gucke ich hin und wieder | |
auf ihr Instagram-Profil, ob sich da was verändert. Währenddessen schlägt | |
mir der Algorithmus schon seit Tagen vermeintlich hilfreiche Artikel | |
verschiedener Zeitungen vor: | |
Sind wir jetzt eigentlich zusammen? | |
Wir wissen alle nicht, wie Beziehung geht | |
Wir können unseren Herzschmerz abschwächen | |
Und: Warum bleibe ich in einer Beziehung, die nicht guttut?, lese ich. Dann | |
schließe ich die App. Was mache ich hier eigentlich? | |
Wieso kann mich die kleinste Disharmonie in einer romantischen Beziehung | |
sofort durchdrehen lassen, während das in freundschaftlichen Unklarheiten | |
ganz anders ist? Wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist das so, seitdem | |
Natalie mir im Kindergarten mitteilte, dass sie künftig zur Schule gehen | |
müsste und zu alt für mich sei. Damals haben Felix und ich uns als Ritter | |
verkleidet, heute gehe ich mit Maik und Jakob stundenlang spazieren oder | |
Bier trinken. Trotzdem treibt mich das Warten im romantischen Hin und Her | |
immer wieder auf den Gipfel der Verzweiflung. Ich habe in den letzten | |
Jahren viel aus Erfahrungen gelernt. Aber in puncto Romantik habe ich noch | |
immer die Ambiguitätstoleranz einer ausgemergelten Laborratte auf | |
Speedentzug. | |
Als ich im Dunkeln meine Teetasse zur Küchenspüle bringe, stolpere ich über | |
den Berg von Liebesbüchern, die ich in der letzten Zeit alle nicht gelesen | |
habe, weil mir der Titel Alles über Liebe der amerikanischen Autorin bell | |
hooks eigentlich gleich am brauchbarsten erschien. Da bin ich dann auf | |
einen Satz über Freundschaft gestoßen: »In einer Freundschaft ist | |
ehrliches, kritisches Feedback möglich, wir vertrauen darauf, dass Freunde | |
unser Bestes wollen.« Und ich denke an die letzten Tage und daran, wie Maik | |
und Jakob mich ziemlich schnell aus meinem selbst angelegten | |
Selbstmitleidssumpf und von der Couch nach draußen zerrten. | |
»Ich habe keine Zeit, mit euch abzuhängen, ich hab zu viel zu tun«, | |
versuchte ich mich anfangs noch zu wehren. | |
»Shut up, Darling«, sagte Maik zärtlich. »Wir haben auch ständig zu tun, | |
aber es geht ja darum, sich bewusst Zeit zu nehmen, ok?« | |
Und nach ein paar Wochen geht es mir wirklich besser, obwohl ich dachte, | |
dass das unmöglich sei. | |
Seltsamerweise habe ich Maiks Ansage nie als übergriffig empfunden, genauso | |
wenig wie Jakobs Tocotronic-Verbot oder die Challenge, nur noch einmal pro | |
Woche eine Nacht auf Drogen durchzutanzen, um mich abzulenken. Ich machte | |
alles mit in dem Wissen, mich vor den beiden nicht ewig wie so eine schwer | |
aushaltbare Mischung aus H. P. Baxxter und dem depressiven Esel aus Winnie | |
Puuh aufführen zu können. Klar, ich hätte auch fliehen können – aber das | |
wollte ich nicht. Und die beiden wollten das auch nicht, denke ich. Wozu | |
sonst die vielen Interventionen und Gespräche? | |
Die Abhängigkeit, die Leute wie Mira in romantischen Beziehungen fürchten, | |
haben wir als Freunde längst. Zwar weiß ich auch hier nicht, wieso ich mich | |
da hineinbegeben habe – man kalkuliert ja am Anfang einer Freundschaft wie | |
auch beim Verlieben nicht, was einem das Ganze später einmal bringen wird. | |
Nur ist das alles vermutlich deswegen weniger gruselig, weil man diese | |
Abhängigkeit fern von sexuellen Trieben oder romantischen Konventionen ja | |
irgendwie selbst wählt. Während Verliebte aus Harmoniebedürfnis oder | |
Angeturntheit viele Nervereien des Partners einfach hinnehmen, merken nicht | |
miteinander schlafende Freund:innen viel schneller, dass dieses Spiel | |
bescheuert ist – weil niemand gern mit Leuten abhängt, die einem nichts | |
Gutes für die eigens investierte Zeit zurückgeben, denke ich noch auf der | |
Straße und kaufe beim nächsten Späti eine Flasche Sekt für alle. | |
Inzwischen ist es Spätherbst. | |
Mir geht es deutlich besser. Aber weil es jetzt Jakob ist, der in kürzester | |
Zeit verlassen wurde, jemand Neues kennenlernte und nun wieder Liebeskummer | |
durchmacht, sitzen wir im Regionalzug und fahren ans Meer. Das war Maiks | |
Idee. Er kommt von der Küste und immer, wenn ihm die Selbsthilferatschläge | |
ausgehen, setzt er sich an den Strand. | |
Maik und ich liegen auf einem Handtuch, während Jakob hinter uns ziemlich | |
aufgeregtes Zeug in sein Handy spricht. Die gesamte Zugfahrt hatte er | |
traurig aus dem Regionalzugfenster gesehen, doch nun klingt er total | |
aufgekratzt, als er sagt: | |
»Ich habe keine Ahnung, was das mit mir und Jennifer wird, aber vielleicht | |
treffen wir uns Dienstag!« | |
»Da treffe ich Mathilda!«, sage ich fröhlich. | |
Ach ja, das habe ich ganz vergessen: Kurz vor der Fahrt ans Meer habe ich | |
in einer Bar Mathilda kennengelernt – und sie ist super! Als ich ein paar | |
Tage vorher meine Bücher neben der Couch zusammengepackt und noch einmal | |
darüber nachgedacht habe, wieso die ganze Pop- und Ratgeberkultur | |
eigentlich viel mehr auf romantische als auf freundschaftliche Beziehungen | |
abfährt, bin ich auf ein Interview mit der Philosophin Sabine Hohl | |
gestoßen. Hohl spricht da zum einen über die institutionelle | |
Ungleichberechtigung von romantischer Liebe und Freundschaft und später | |
auch darüber, dass vieles entspannter wäre, wenn man Freundschaften den | |
gleichen Stellenwert geben würde wie romantischen Beziehungen. Einfach, | |
weil die meisten Leute sich mit der Suche nach dem richtigen Partner extrem | |
stressen würden, der alles abdecken müsse. Wenn die romantische Beziehung | |
scheitere, dann sei das oft eine Katastrophe. Die Pflege eines Netzes aus | |
nahestehenden Personen mache uns dagegen resilienter, wenn Lebensumstände | |
sich verändern. | |
Daran muss ich denken, während Jakob und ich uns in Sachen Romantik | |
updaten. | |
»Irgendwie bin ich voll aufgeregt!«, sagt Jakob. | |
»Ich auch!« | |
»Wie wär’s eigentlich, wenn ihr beide euch mal eine Weile nicht nur auf | |
Romantik konzentriert?«, unterbricht uns Maik. | |
Draußen wird es jetzt schon früh dunkel, der Herbst geht auch schon wieder | |
zu Ende. Ich fühle mich sehr verliebt in Mathilda und denke daran, dass | |
Maik damals am Strand vor irgendetwas gewarnt hat. Nur fällt mir einfach | |
nicht ein, was er gesagt hat. | |
Aber egal. Falls es hart auf hart kommt, wird er da sein und es mir ein | |
weiteres Mal sagen. | |
Modern Love ist eine wunderbare Rubrik in der New York Times on Sunday – | |
Geschichten über Liebe, Ende der Liebe, menschliche Beziehungen. Das machen | |
wir jetzt auch. | |
Dieser Beitrag ist im Dezember 2023 in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°27 | |
erschienen. Lesen Sie weiter, die aktuelle Ausgabe von taz FUTURZWEI gibt | |
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9 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Aron Boks | |
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