# taz.de -- Kieler Künstler können was | |
> Unterschiedlich sind die Techniken der Nominierten des | |
> Gottfried-Brockmann-Preises. Gemeinsam haben die Arbeiten die | |
> beeindruckende Qualität. Kiels Stadtgalerie zeigt sie | |
Bild: Preisträger Mateusz Dworczyk bringt extrem sinnliche, zugleich hochabstr… | |
Von Frank Keil | |
„Das habe ich alles kurz und klein geschlagen“, sagt Patrick Wüst gut | |
gelaunt und weist auf seine Fotoarbeit im Eingangsbereich der Kieler | |
Stadtgalerie: Man schaut auf eine Art Fototapete, Format acht mal zwei | |
Meter, auf eine sich in die Weite erstreckende Trümmerlandschaft aus | |
Bauholz und Draht, aus Papierresten und Rigips-Bruchstücken. Der Künstler | |
muss richtig zugelangt haben. | |
„Utopie ist dead – Volume 3“ heißt die Arbeit, mit der Wüst für den | |
diesjährigen Gottfried-Brockmann-Preis nominiert wurde. Alle zwei Jahre | |
wird der mit 5.000 Euro dotierte Preis für Bildende KünstlerInnen | |
ausgelobt, die in Kiel leben und arbeiten und die das Alter von 35 Jahren | |
noch nicht überschritten haben. Es ist die 20. Preisvergabe, und auch | |
diesmal gibt es neben der Präsentation des Werks des eigentlichen | |
Preisträgers eine Ausstellung mit Werken der Nominierten, 14 an der Zahl. | |
Wüst, passend für den Opener ausgewählt, beschäftigt sich seit Längerem mit | |
Architektur und Stadtplanung, er schafft in seinem Atelier die dafür | |
nötigen Modelle, in denen schon mal vorgebaut wird, wohin es gehen könnte. | |
Und wo nach der Utopie gesucht wird, ist die Dystopie nicht fern und | |
umgekehrt. „Wie kann etwas tot sein, das noch nicht existiert hat?“, | |
kommentiert er selbst seinen Titel, verweist so auf den Zwischenraum von | |
Idee und Umsetzung, von möglicher Enttäuschung und zu erkundender Hoffnung. | |
Um das Modell per se kreist dazu passend die sehr eindrückliche Arbeit | |
„Intro“ von Lilian Nachtigall: Sie hat in der Stadtgalerie einen mächtigen, | |
raumgreifenden Kubus aufstellen lassen, einen begehbaren Raum im Raum, in | |
dessen Inneren eine Videoprojektion läuft: Der Blick folgt einer Reise | |
durch ein Raummodell, das noch im Entstehen ist, das sich noch wandelt, im | |
Detail wie in der Übersicht. „Der Vorteil eines Modells ist, dass man erst | |
mal alles machen kann“, so Nachtigall. | |
Ganz anders in die Vollen geht wiederum Mateusz Dworczyk, der diesjährige | |
Preisträger: „Procedural Incarnation“ offenbart sich als hochkomplexe | |
Auseinandersetzung mit Bildgebungsprozessen und Körperbildern im | |
wortwörtlichen Sinne: „Ich gehe von einem postmodernen Körperbegriff aus, | |
der den Körper nicht mehr als natürliches Objekt sieht, sondern als einen | |
Körper, der von diskursiven, politischen, wirtschaftlichen Belangen | |
tendiert wird“, sein Statement. Und also lässt er seine digitalen Bilder | |
von Körpern von TänzerInnen und Body BuilderInnen durch eine KI bearbeiten, | |
deren erarbeitete Bilder im dritten Schritt von einem 3-D-Programm | |
modelliert werden. | |
Von der Materialität wie Arbeitsweise her kann man da Miriam Hartings | |
Arbeit „strapaziert und entschieden“ fast als Gegensatz hinzuziehen. | |
Hartung studiert an der Kieler Muthesius-Hochschule Kommunikationsdesign. | |
Sie hat sich unlängst die traditionelle Webtechnik der Tapisserie | |
angeeignet, die sie nun erweitert, gilt doch für sie: „Jede Textilarbeit | |
ist für mich ein Schriftbild.“ Zugleich positioniert sie sich in ihrem | |
Vorgehen auch persönlich: „Ich habe eine Leidenschaft für das | |
Handwerkliche; für das Wissen, das von Generationen weitergegeben wurde.“ | |
Andere Arbeiten überzeugen durch ihren lustig-hintergründigen Charakter: | |
Paola Donato Castillo hat einen Raum gestaltet, in dem sie Skulpturales, | |
Malerisches und Elektronisches miteinander verbindet. „Regresar al Platanal | |
(Rückkehr zur Kochbananenplantage)“ der Titel ihrer Installation. | |
„Ich fühle mich auch wie eine Kochbanane“, sagt die aus Kolumbien stammende | |
Kunststudentin, die sich in ihrer Arbeit dem Topos der Kochbanane widmet: | |
einer Pflanze, ursprünglich allein beheimatet in Südostasien, im | |
subtropischen Afrika erstmals kultiviert ist heute das Gewächs | |
Lateinamerikas. Weshalb Castillo produktiv erstaunt war, als sie ihr auch | |
in Deutschland begegnete: als Zierpflanze auf Balkonen und in Wohnzimmern. | |
Schöner Dreh ihrer Arbeit: Die BesucherInnen werden via Kamera selbst beim | |
Beobachten der Kochbananen-Szenerie beobachtet, und dieser Blick auf sich | |
selbst hat für die Künstlerin gerade einen ganz eigenen Hintergrund: Sie | |
muss klären, ob sie in Kiel bleiben oder zurückgehen will. Sie beobachtet | |
sich bei der Suche nach ihrer Entscheidung. Nominierung und | |
Präsentationsmöglichkeit jedenfalls haben erst einmal ihre Residenzzeit | |
verlängert. | |
Und so geht man angeregt von Raum zu Raum, wie überhaupt Raumerfahrenes | |
immer wieder Thema wird: Paula Oltmann hat Teile des hölzernen und entlang | |
der Jahre abgetretenen Fußbodens der Stadtgalerie hochgehoben, nun ragen | |
spooky Türme aus frisch gedrechselten Holzscheiben aus dem offengelegten | |
Boden und lassen uns über die Eigensinnlichkeit von benutztem und von | |
frischem Holz nachdenken. Annemarie Jessen wiederum setzt uns auf eine | |
stille, sehr charmante Art an fünf gebrauchte Holz-Tische, die man zum | |
Pfeifen bringen kann und plädiert so überzeugend für die Idee des | |
Einfachen. All das und noch viel mehr ist zu entdecken, dabei funktioniert | |
der Wechsel der Genres gerade in der Konfrontation von recht | |
abstrakt-durchwalkt bis spielerisch-heiter allerbestens. Kurz: Es ist eine | |
sehr gute Auswahl, die sich hier zeigt. | |
Ausstellung Gottfried-Brockmann-Preis, Stadtgalerie Kiel. Bis 25.2. | |
15 Jan 2024 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |