# taz.de -- Figur aus Fleisch | |
> Lisz Hirn sucht in ihrem Essay „Der überschätzte Mensch“ nach einem neu… | |
> allgemeingültigen Humanismus | |
Von Katharina Granzin | |
Der Mensch sei „eine lebendige Figur aus Fleisch“, zitiert Lisz Hirn zu | |
Beginn ihres Buches ein vierjähriges Mädchen. In welchem Kontext das Kind | |
diese Definition geprägt hat, wird nicht erwähnt, aber zweifellos hat es | |
einen weitaus rationaleren, unsentimentaleren Blick auf den Kern des | |
menschlichen Daseins als vermutlich die meisten von uns.Lange Zeit, | |
schreibt die Autorin, habe der Mensch sich selbst überbewertet, sich | |
irgendwo zwischen „Tier“ und „Übermensch“ auf einer hierarchischen Ska… | |
weit über dem „Tier“ eingeordnet und diesen erhöhten Platz als | |
selbstverständlich empfunden. Eine der wichtigsten Aufgaben der | |
abendländischen Philosophie sei es stets gewesen, die „Abgrenzung zwischen | |
‚Tier‘ und ‚Mensch‘“ aufrechtzuerhalten. Die Gewissheit über diese G… | |
aber ist heutzutage keineswegs mehr so felsenfest. Dazu kommt eine, nach | |
einem Begriff von Günther Anders, „prometheische Scham“, da die Maschinen, | |
die wir erschaffen haben, in wesentlichen Bereichen längst mehr können als | |
wir selbst. | |
Was also ist der heutige Mensch, der auf der einen Seite die eigene | |
Tierhaftigkeit allmählich anzuerkennen beginnt und gleichzeitig damit | |
hadert, nur eine fleischliche Intelligenz zu sein? Welches Bild machen wir | |
uns von uns selbst, und wie gehen wir mit unserer Verletzlichkeit und | |
Sterblichkeit um? | |
Lisz Hirn versucht in ihrem Langessay, diese und verwandte Fragen genauer | |
zu fassen. Vier übergeordnete Begriffe – „Essen“, „Sterben“, „Werd… | |
„Handeln“ – dienen ihr als Sinn-Anker und ordnen den Text in Kapitel. Mei… | |
lässt sich gut folgen, auch wenn in der äußeren Form nicht immer sehr | |
deutlich wird, wohin und womit. Zitate werden meist eher unelegant in den | |
Textfluss eingeworfen und oft verschwimmt, aus welcher Quelle welche | |
Gedanken paraphrasiert werden. | |
Nahrungstabus, Todesrituale, der Wert von Arbeit und Gesundheit sowie | |
unsere schicksalhafte Erdgebundenheit gehören zu den Themen, die den | |
Menschen in seinem Dasein bestimmen. Da die Auffassung des Menschen als | |
Krone der Schöpfung, als „Tier, das nicht von anderen Tieren gegessen wird“ | |
überholt ist, brauche es „eine neue Anthropologie, die sich […]in unserer | |
Verletzlichkeit verortet“. Dazu gehört es, uns radikaler als Teil der Welt | |
zu begreifen und nicht die Welt als etwas außerhalb unserer selbst, das, | |
legitimiert durch das biblische „Macht euch die Erde untertan“, zu unserem | |
unendlichen Gebrauch vorhanden ist. Allein der Begriff „Umwelt“ zeige „die | |
immer noch unglaubliche Anthropozentriertheit des angeblich aufgeklärten | |
Menschen“. Der Begriff „Umweltschutz“ wiederum sei offenkundig absurd, de… | |
„wen würden wir damit eigentlich schützen, wenn nicht uns selbst“? | |
Auch auf anderem Gebiet braucht der verletzliche Mensch Schutz: vor den | |
Maschinen. Dabei gelte es zum einen zu erkennen, „was das menschliche Tier | |
der Maschine überlegen macht“. Zum anderen müssten wir unser Verhältnis zur | |
Arbeit komplett überdenken. Das ist sicher richtig, aber gerade im Kapitel | |
„Handeln“, dem letzten, geht es weniger um das menschliche Handeln in | |
seinen vielfältigen Ausformungen als vielmehr fast ausschließlich um das | |
Mensch-Maschine-Verhältnis, was dann auch noch auf argumentative Seitenwege | |
führt. Auch den Transhumanismus verhandelt Hirn in diesem Rahmen, | |
wenngleich dieses Nischenthema eigentlich besser im „Sterben“-Kapitel | |
aufgehoben gewesen wäre. | |
Aber trotz einer gewissen, vielleicht auch nur subjektiv so gefühlten, | |
Beliebigkeit beim Themenhopping ist die generelle Zielrichtung der Autorin | |
klar: Sie nennt es „Anthropologie“, aber es ist eigentlich ein neuer | |
universeller Humanismus, den sie sucht. Von Wokeness hält Hirn nicht viel: | |
„So sehr sich das Besondere als das Grundlegende des Politischen | |
manifestiert, so sehr verschwindet dahinter das Allgemeine, das, was wir im | |
Angesicht unserer verletzlichen Körperlichkeit teilen.“ | |
16 Dec 2023 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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