# taz.de -- Keine Kirmes ohne Giraffe | |
> Als Chronist des Alltäglichen untersucht Fotograf Akinbode Akinbiyidas | |
> Leben in Deutschland. Er entdeckt dabei so exotisch Orte wie Hannover und | |
> sein Schützenfest | |
Bild: Hannover Badenstedt: Im Savannenweg wuchern seltsame Fantasmen | |
Von Bettina Maria Brosowsky | |
Benötigen Fotograf:innen immer eine große Theorie? Muss da vom | |
entscheidenden Moment im Geiste eines Henri Cartier-Bresson die Rede sein? | |
Oder müssen Sie den Kriterien von Roland Barthes’Schrift „Die helle Kammer… | |
gehorchen? | |
Akinbode Akinbiyi nicht, das belegt auch seine aktuelle Ausstellung in | |
Hannover. Der mittlerweile 77-jährige Fotograf mit Wurzeln in Nigeria, der | |
seit 30 Jahren in Berlin lebt, geht bei seinen Bildfindungen intuitiv zur | |
Sache. Er durchwandert, langsam und intensiv beobachtend, seit einem halben | |
Jahrhundert weltweit Städte und ihre Peripherien, immer die analoge | |
Rolleiflex-Kamera dabei. In verhaltener Distanz wurde er so ein sensibler | |
Chronist des Alltäglichen, auch in seiner Wahlheimat Deutschland. Ohne | |
Vorurteile nähert er sich ihren vielen, ihm ursprünglich fremden Facetten | |
und Gewohnheiten. Ihm selbst, aber vor allem Afrika, allerdings würde | |
gelegentlich mit Klischees begegnet, erzählt er. Gerne werde der Kontinent | |
noch mit „Wildem“ in Verbindung gebracht. Zwar frage ihn heute niemand | |
mehr, wie es Kinder in den 1960er-Jahren taten, als Akinbiyi erstmals in | |
Deutschland war, ob denn Schwarze dort noch auf Bäumen leben würden. Jetzt | |
ist es etwa die Giraffe, ein für Afrika eigentlich unwichtiges Tier, auf | |
das er immer wieder stößt, wenn es um diesen Weltteil geht – vor allem als | |
alltagskulturelle, triviale Deko bei Kirmes oder Schützenfest. | |
Das weltweit größte, wenngleich nicht älteste Schützenfest findet | |
alljährlich in Hannover statt. Es ist deshalb mit zahlreichen Motiven in | |
Akinbiyis Ausstellung im Kunstverein vertreten. Für sie ist der Fotograf | |
seit 2022 zwischen der Bundes- und Niedersachsens Landeshauptstadt | |
gependelt und hat gut 100 großformatige Schwarz-Weiß-Abzüge für acht, sehr | |
stimmig in unterschiedliche Farben gefasste Themenräume ausgewählt. | |
Das kurze Kapitel „Hauptstadtblues“ ist Berlin gewidmet, Hannovers | |
Schützenfest gleich in mehreren Rubriken dabei, unter „Fun and Games“ etwa | |
oder „Rituale“. Hier blitzt es nur so von Gerätschaften: | |
Blasmusikinstrumente, Zepter und Standarten der Schützenvereinigungen | |
während ihrer Umzüge durch die Innenstadt. Die Schütz:innen hätten sich | |
alle gern fotografieren lassen, sagt Akinbiyi, der auch sonst nicht davor | |
zurückschreckt, seine Kamera auf Personengruppen oder in die Menge zu | |
richten. Denn Menschen gehören zu seiner Art der Straßenfotografie, ohne | |
sie gäbe es keine Stadt, keine Gesellschaft und keines ihrer Rituale. | |
In Hannover hat Akinbiyi aber auch noch anderes aufgetan, etwa das | |
Afrikanische Viertel in Badenstedt, der westlichen Peripherie der Stadt. | |
Hier liegen die Windhukstraße, ein Togo-, Kamerun- oder Savannenweg. In der | |
Ostafrikastraße fand er dann ein Garagentor, wie schon zu erwarten, bemalt | |
mit einer großen Giraffe. Das Viertel steht im Fokus postkolonialer | |
Aufarbeitungen, 2013 wurde immerhin die Lettow-Vorbeck-Allee, benannt nach | |
einem Generalmajor, der in Afrika Kriegsverbrechen begangen haben soll, in | |
Namibia-Allee umbenannt – gegen den Willen vieler Anlieger. | |
Solche Geschichten hinter den Bilderzählungen sind charakteristisch für | |
viele Fotografien Akinbiyis. So hat er während der kürzlich zu Ende | |
gegangenen Herbstausstellung im Kunstverein die Performance der | |
Brasilianerin Jac Lisboa im Straßenraum fotografiert. Dabei habe er | |
entdeckt, dass ihr Reinigungsritual in einer weißen Textilszenerie auf | |
nigerianische Riten zurückgreift, die verschleppte Sklav:innen vor | |
Jahrhunderten nach Südamerika importiert hatten. | |
Wichtig ist Akinbiyi auch der Vorgang des Fotografierens selbst: Seit | |
Anbeginn war das Porträt, auch das eigene Antlitz, wesentliches | |
Aufgabenfeld und Bildsujet. Heute ist es durch Selfies zum Massenphänomen | |
geworden, aber immer noch gibt es Fotoautomaten, die nicht nur für | |
Passbilder genutzt werden. Als Akinbiyi 2020 vom jetzigen Direktor des | |
Kunstvereins, Christoph Platz-Gallus, zum damals von diesem mitkuratierten | |
Steirischen Herbst nach Graz eingeladen wurde, habe er darüber nachgedacht, | |
wie man unter Coronabedingungen Kunst unter die Leute bringen kann. | |
Das Ergebnis war ein Fotoautomat im öffentlichen Raum, der ein | |
Selbstporträt mit drei weiteren, zufällig ausgewählten Motiven des | |
Fotografen kombiniert. Diese Form fotografischer Produktion und wie auch | |
Distribution kann nun in Hannover neuerlich ausprobiert werden. Die | |
Automatenbox, scherzt Akinbiyi abschließend, sei sein bildhauerischer | |
Beitrag zur Ausstellung. | |
Ausstellung Akinbode Akinbiyi, „Manchmal heißt verloren sein gefunden | |
werden“: bis 21. 1. 2024, Kunstverein Hannover | |
27 Nov 2023 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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