# taz.de -- Sie sind so gut wie baureif | |
> Die Neue Gesellschaft für bildende Kunst und das Werkbundarchiv sollten | |
> in Pavillons auf der Karl-Marx-Allee eine neue Bleibe finden. Nun drohen | |
> die Mittel für ihren Bau gestrichen zu werden | |
Von Ronald Berg | |
Annette Maechtel, Geschäftsführerin der Neuen Gesellschaft für bildende | |
Kunst (nGbK), äußert sich „entsetzt“. Gerade erst hat Deutschlands | |
mitgliederstärkster Kunstverein ein neues Domizil an der | |
Karl-Liebknecht-Straße nahe dem Alexanderplatz in Mitte bezogen, das als | |
temporäres Ausweichquartier gedacht war. Der alte, langjährige Standort in | |
der Kreuzberger Oranienstraße 25 musste nach Auflösung des Mietvertrags | |
durch einen privaten Immobilienfonds aufgegeben werden. Nun aber haben die | |
beiden Koalitionsparteien, CDU und SPD, die vom Berliner Senat in Aussicht | |
gestellte dauerhafte Bleibe der nGbK an der Karl-Marx-Allee zumindest | |
vorerst wieder infrage gestellt. Denn am 15. November wurden im | |
Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses die Mittel für den Bau von | |
zwei Pavillons zwischen Schillingstraße und Alexanderplatz mit | |
Koalitionsmehrheit gestrichen. | |
Den zweiten Pavillon sollte das Werkbundarchiv – Museum der Dinge beziehen, | |
das aus derselben Immobilie in der Oranienstraße ausziehen musste und | |
voraussichtlich erst im Mai des kommenden Jahres in seinem Ausweichquartier | |
an der Leipziger Straße nahe dem Spittelmarkt wieder eröffnen wird. Auch | |
Florentine Nadolni, die den Werkbund leitet, wirkt verunsichert. Ihr | |
Provisorium sei langfristig für die Arbeit des Museums der Dinge zu klein. | |
Es fehle sowohl Platz für die Präsentation der Sammlung als auch für die | |
Nutzung der Bibliothek für Forschende. | |
Bis jetzt ist der Berliner Haushalt für die nächsten beiden Jahre noch | |
nicht vom Abgeordnetenhaus verabschiedet worden. Bis Jahresende besteht | |
theoretisch noch eine Chance, dass das seit Jahren vom Bezirk Mitte | |
geplante und inzwischen so gut wie baureife Pavillonprojekt an der | |
Karl-Marx-Allee nicht aufgegeben wird. Die Senatskulturverwaltung teilt | |
jedenfalls auf Anfrage der taz mit, sie halte „an den Planungen für die | |
Pavillons in der Karl-Marx-Allee fest“. | |
Das ist auch sinnvoll. Denn die beiden mit Senatsgeldern geförderten | |
Institutionen würden in den Pavillons weniger Miete zahlen und daher mehr | |
Mittel für ihre kulturelle Arbeit zur Verfügung haben. Die fertigen | |
Pavillons wären in Besitz der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft | |
Berlin-Mitte mbH (WBM), die auch als Bauträger für das Projekt auftritt. | |
Nach bisherigem Stand der bezirklichen Planungen sollten an der | |
Karl-Marx-Allee sogar sechs neue Pavillonbauten entstehen. Sie sind Teil | |
eines Entwicklungsplans, der das Wohnquartier mit Kultureinrichtungen | |
aufwerten will. | |
Die vorgesehenen Pavillons beruhen dabei auf der Ende der fünfziger Jahre | |
in der DDR begonnenen Originalplanung für den zweiten Bauabschnitt der | |
Karl-Marx-Allee zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz. | |
Ursprünglich waren hier insgesamt elf Pavillons geplant. Davon realisiert | |
wurde aber nur der Abschnitt bis zur Schillingstraße. | |
Für die neu geplanten zweistöckigen Pavillons gibt es bereits detaillierte | |
Architekturentwürfe, die sich ästhetisch an den vorhandenen Pavillonbauten | |
orientieren, die zu DDR‑Zeiten als Restaurant Moskau, die | |
Mokka-Milch-Eisbar oder als Kosmetiksalon Babette fungierten. Technisch und | |
ökologisch wären die Neubauten auf dem neuesten Stand. Das würde auch für | |
den geplanten Pavillon der Heinrich-Böll-Stiftung gelten, die direkt neben | |
dem Kino International einen t-förmigen Baukörper „in kreislauffähiger | |
Bauweise“ errichten will – als Ort für Debatten und Veranstaltungen. Dessen | |
Finanzierung ist von den Berliner Haushaltsplanungen nicht betroffen. | |
Der Rat der Künste, ein Zusammenschluss von Sprechern der Berliner | |
Kulturschaffenden, kritisiert die Streichung der 1,5 Millionen Euro für die | |
Bauplanung der Pavillons und die einkassierte Verpflichtungserklärung für | |
die Realisierung der zwei Pavillons in Höhe von 9.176.000 Euro. Die | |
Situation von nGbK und Werkbundarchiv sei „ein weiteres Beispiel dafür, wie | |
notwendig das Schaffen von sicheren und bezahlbaren Kulturräumen in Berlin | |
ist. Und wie sehr die Schaffung von Räumen in öffentlicher Hand eine | |
kulturelle Zukunftsvorsorge ist. Kultur braucht langfristige Perspektiven, | |
keine Zwischenlösungen.“ | |
Wenn der Kultursenat seine erklärte Absicht, „Räume für Kultur in | |
innerstädtischer Lage mit langfristig günstigen Mieten zu sichern“, ernst | |
meinte, dann sei nicht zu verstehen, warum jetzt „de facto ein | |
Planungsstopp für dieses wegweisende Projekt nachhaltiger Kulturförderung“ | |
drohe. Passt den Koalitionsparteien die ganze Richtung nicht? Städtebau in | |
Form und Geist einer DDR-Moderne? Förderung von Kulturinstitutionen mit | |
linker Programmatik? Inhaltlich begründet wurde die Mittelstreichung bisher | |
nicht. Der CDU/SPD-Senat sollte sich wenigstens dazu erklären. | |
23 Nov 2023 | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
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